Marderjagd in der Schule

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Eine tatsächliche Begebenheit die sich Anfang des 19. Jahrhunderts
in der Schule in Neuhaus am Rennsteig ereignet hat

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Der Baum- und Edelmarder

Die Marder sind gefürchtete Räuber. In Wald und Feld, im Gebirge wie in der Ebene, in den Gärten und in den Wohnungen der Menschen sind sie anzutreffen. Unsere Heimat beherbergt verschiedene Arten, den Edelmarder, der vorwiegend die Bäume des Waldes bewohnt, den Stein- oder Hausmarder, der eifrig dem Hausgeflügel nachstellt, den dunkelbraunen Iltis, der sich von Mäusen, Hamstern und Kreuzottern nährt, aber auch häufig die Hühnerställe plündert, und das große und kleine Wiesel, die beide sehr häufig vorkommen und sich auf Frösche, Fische, Kaninchen, Tauben und andere kleine Vögel stürzen. Der Iltis oder Ratz, wegen seines unangenehmen Geruches auch Stänker genannt, schlägt sein Lager oft in den hohlen Bäumen oder in verlassenen Fuchsbauen auf. Gern haust er auch im hohen Getreide oder in der Nähe von Felsen, in altem Gemäuer und unter dem Wurzelwerk dichter Hecken. Im Winter zieht er sich in die Dörfer oder Städte zurück und kommt hier dem Hausmarder ins Gehege.

Das Erdgeschoß der Schule in Neuhaus am Rennweg war Anfang 1900 Schauplatz einer aufregenden Marderjagd:
Einer der Lehrer betrieb eine erfolgreiche Hühnerzucht und hatte auf einer Ausstellung einige prächtige Hühner dazu erworben. Dreizehn niedliche Hühnchen trippelten im Sonnenschein auf dem Hof herum, bewacht und geführt von der gluckenden Alten. Am Abend begaben sie sich in den schützenden Stall, der neben der Waschküche eingebaut war, und so ging die Aufzucht der munteren Tiere gut von statten. Aber die "Dreizehn" soll nach dem Aberglauben vieler Leute eine Unglückszahl sein, und wirklich wurde die Freude durch das Auftreten eines Marders gestört. Selbst das Hühnerhaus schützte die Küken nicht. Unbeschreiblich war der Schrecken des Schulmannes und Geflügelzüchters, als eines Morgens sämtliche Hühnchen fehlten und reichliche Schweißspuren (Blutspuren) auf das Eindringen eines Marders hinwiesen.

Sofort wurde ein erfahrener Jäger zu Rate gezogen, dessen laut kläffender Hund anzeigte, dass sich das blutgierige Raubtier noch innerhalb des Gebäudes befand. Neben dem Holzstall, der ebenfalls im Erdgeschoß untergebracht war, lagerte eine größere Menge Streu, als Lager für das Vieh. Unter dem Streuhaufen zog sich eine in den Zementboden gehackte Rinne hin, die als Wasserabfluss diente. Es wurde deshalb angenommen, dass sich der Marder hier verkrochen hatte, weil der Hund an dieser Stelle bellte.

Kaum war ein Teil der Streu weggeräumt, entdeckte man die Opfer des nächtlichen Überfalls. In der trockenen Rinne lagen die gemordeten Hühnchen, eines neben dem anderen, aber noch war von dem Mörder, der diese grausame Tat vollbracht hatte, nichts zu sehen. Ein größerer Schuljunge stand mit einem so genannten Stopfmesser an der Stelle der Rinne bereit, wo sie sich unter dem Holzstall hinzog und wieder zum Vorschein kam. Wir waren noch nicht mit den Wegräumen der Streu fertig, als sich mit einem lauten Geschrei der Bub meldet: " Ich hone"  ("ich habe ihn")!  Der Junge hatte gut aufgepasst und in dem Augenblick, als der beunruhigte "Ratz" den Kopf unter den Balken der Holzwand vorstreckte, mit dem stumpfen Messer zugestoßen und ihn zu Boden gedrückt, wo er sich in ohnmächtiger Wut hin und her wand, bis der hinzukommende Hund ihn erfasste und abwürgte.

Viel aufregender gestaltete sich der zweite Teil der Marderjagd
Der eifrige "Teckel" des Jägers machte sich an der Streu zu schaffen. Bald stöberte er einen Iltis von mittlerer Größe auf, den er so kräftig schüttelte, dass dieser bald kein Lebenszeichen mehr gab. Gleich danach kam aus dem hintersten Winkel ein dritter Iltis mit einem mächtigen Sprung hervor und suchte zwischen den Verfolgern hindurch den Weg ins Freie zu gewinnen. Umsonst! Türen und Luken waren geschlossen, und blitzschnell sprang das gewandte Tier zurück. Man warf, stach, schlug nach ihm, doch keinem gelang es den Iltis zu treffen.

Durch den steigernden Lärm aufmerksam geworden, hatten sich mehrere Nachbarsleute eingefunden, daneben auch beherzte Jungen aus der Oberklasse, die ebenfalls in das Kampfgeschehen eingriffen. Klein und große Holzstücken flogen durch die Luft und prallten von dem massiven Deckengewölbe ab oder schnellten von dem harten Zementboden empor. Vielstimmiges Geschrei erfüllte das Schulgebäude, und Stöcke, Rechen und Hacken holten zum Schlag aus, aber das Tier blieb unverwundet. Immer hitziger rannte der Iltis hin und her, unheimlich beängstigend klang sein Knurren und Fauchen, und in der Aufregung des Gefechtes fiel so mancher Hieb oder Wurf an die unrechte Stelle, so dass man Gefahr lief, eine ernstliche Verletzung davonzutragen. Das rasende Tier berührte kaum den Boden und flog zischend und die Zähne fletschend dahin, bis endlich ein kräftiger Hieb den Räuber zu Boden streckte.

Es war ein schönes ausgewachsenes Exemplar, das später das Lehrmittelzimmer der Neuhauser Schule schmückte. Leider hatte der Präparator, ein "Porzelliner" (Porzellanarbeiter) aus Neuhaus, das Ausstopfen nicht sorgfältig und kunstgerecht ausgeführt, so dass der Balg infolge Mottenfraßes zerstört wurde und nur das nadelscharfe Gebiss erhalten blieb. Übrigens wurde an jenem "denkwürdigen Kampftag" noch ein vierter "Ratz“ unschädlich gemacht, der in dem äußersten Teil des Abflusskanals neben dem Schulhaus sich verborgen hatte. Nachdem mehrere Kannen Wasser ausgegossen worden waren, verließ er notgedrungen sein Versteck und wurde von der "kampferprobten Mannschaft“ mühelos getötet.

Quellenhinweis: L. Pfeifer