Eine Erzählung vor Jahr und Tag aus dem Dorf Heldritt im Coburger Land
Heldritt im Coburger Land
Aus der Fotoserie: Winterzauber auf den Langen Bergen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Nacht für Nacht rumorte es in den Ställen des Bauern Jörg Bauersachs in Heldritt. Der Deckel des Futterkastens klapperte, die Viehketten rasselten, die Futterschneidmaschinen schnitten Häckerling, die Stalltüren schlugen auf und zu. Das Gesinde wagte nicht nach der Ursache der Geräusche zu forschen. Sie ahnten einen Geisterspuk und verkrochen sich jedes Mal unter die Bettdecken. Am anderen Morgen waren sie sehr erstaunt, wenn sie beim Betreten des Stalles feststellten, dass die Ochsen und die Kühe sauber gestriegelt waren, die Raufen voll Heu lagen, die Barren blitzblank gescheuert glänzten, den Tieren Stroh und Laub untergestreut lagen und in der Futterkammer Häcksel für den ganzen Tag auf Vorrat geschnitten aufgeschichtet lag.
Zuerst kam das heimliche Wesen nur dann und wann zur nächtlichen Stallarbeit. Aber mit der Zeit kam es häufiger und während der Winterzeit kam es jede Nacht. Wie da die Ochsen rund und dick wuchsen. Sie zogen die schwersten Mistwagen und ließen auch die hoch geladenen Heuwagen auf den löcherigen Feldwegen nicht stehen. Die Kühe gaben zwei Eimer Milch zu jeder Melkzeit und die Bäuerin konnte sich nicht genug wundern über die dicke Rahmschicht, die sie täglich aus den steinernen Töpfen abschöpfen konnte. Die Kälbchen waren rund und lebendig, wuchsen zusehends und ihre Felle glänzten. Noch nie war auf dem Hof so ein Wohlstand wie jetzt gewesen und der Geldkasten füllte sich mit Dukaten in bisher nicht gekanntem Maße.
Heldritt im Coburger Land
Aus der Fotoserie: Winterzauber auf den Langen Bergen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Knechte und Mägde erzählten in den Lichtstuben vom Treiben des fleißigen Helfers, der sich nächtlich im Stall ihres Dienstherrn zu schaffen machte. Wenn auch die Nachbarn zunächst zweifelten und vom Teufel und Hexe munkelten, konnten sie doch nicht leugnen, dass die Wirtschaft auf dem Hof zusehends aufwärtsging und der Wohlstand sich mehrte. Trotzdem wollten sie mit der Sache nichts zu tun haben und mieden den Hof zumindest zur Nachtzeit. Auf den Wiesen und Feldern des Hofes stieg der Ertrag. Das Gras wuchs dichter und höher als früher, das Unkraut auf den Feldern schwand mehr und mehr. Korn und Weizen reiften mit vollen Ähren und kamen trocken unter Dach, selbst der Flachs gab längere und weichere Fasern als bisher.
Zu Lichtmess musste der Bauer Jörg Bauersachs einen neuen Knecht einstellen. Es war ein kecker Bursche aus dem "Wald“ (Thüringen), fleißig und anstellig und voller Freude und Frohsinn. Schon nach ein paar Tagen merkte er, dass in dem Stall seines Dienstherrn ein heimliches Wesen schaltete und waltete – die gefüllten Raufen und der volle Futterkasten am Morgen gaben ihm zu denken. Wenn er auch nach fleißiger Arbeit bei Tage am Abend schnell und tief schlief, glaubte er doch in der Nacht, wie früher die Mägde, ein Rasseln, Knarren und Klirren zu hören. Als er nach einigen Tagen unter der Dorflinde zu den Burschen davon sprach und unter dem Gelächter der Umstehenden erfuhr, dass in seinem Stall ein fleißiger Geist umherschlich, beschloss er, der Heimlichkeit auf die Spur zu kommen. Furcht kannte er nicht und stark genug fühlte er sich auch. Wenn es sein müsste würde er sogar mit dem Teufel kämpfen.
Heldritt im Coburger Land
Aus der Fotoserie: Winterzauber auf den Langen Bergen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
In der nächsten Nacht hörte er das Rumoren im Stall deutlicher als in der vorherigen Zeit. Leise erhob er sich von seinem Lager und schlich nach unten. Vorsichtig lugte er durch das Astloch in der Stalltüre. Da bemerkte er im Schein des fahlen Mondlichtes, das durch die niedrigen Stallfenster schien, auf dem Futterkasten ein kaum drei Fuß hohes Männchen sitzen, das sich offenbar ausruhte. Deutlich waren das feuerrote Westchen und ein graues Höschen zu erkennen. Es stützte seinen Kopf auf die Hand, dass nur wenig von den Falten des Gesichtes zu erblicken war. Nach etlichen Minuten erhob sich die kleine Gestalt, rutschte behutsam am Kasten hinab und schlich über den Stallgang. Dann blieb sie stehen, dehnte und streckte sich und ließ seine Augen wohlgefällig über Kühe und Ochsen gleiten, die friedlich wiederkäuend auf dem reinlichen Stroh ausgestreckt lagen. Jetzt konnte der Knecht erkennen, dass die Hosen und das rote Westchen recht alt und geflickt aussahen, das Zipfelmützchen etliche Löcher hatte und sein Schuhwerk einen recht ärmlichen Eindruck machte.
Jetzt kam Leben in die kleine Gestalt. Schnell sprang sie zum Wandbrett empor, nahm Striegel und Bürste in die Hand und lief zur "Schecke“ hinüber. Die wandte zufrieden den Kopf nach dem Männlein um, brummte ganz leise und tat wohl ihre Zufriedenheit kund, dass das Männchen bei ihr den Anfang machte. Ganz zart fuhr das Männlein der Kuh mit dem Striegel über das Fell, strich mit der Bürste sachte nach und ließ nicht einen Zoll ungeputzt. Trotz der Behutsamkeit ging die Arbeit flott voran. Nicht ein Stück Vieh wurde ausgelassen und Kühe, Ochsen und Kälbchen taten, als ob das Männchen ein alter Freund und Wohltäter sei. Der Knecht beobachtet regungslos und still von seinem Standort aus die Vorgänge im Stall. So wollte er auch am nächsten Tag das Vieh streicheln und ihm gut zureden. Und als er noch sah, wie sorgfältig der Zwerg das Heu in die Raufe legte und den Häcksel mit den Schnitzeln vermischte und den Barren füllte, musste er sich den Vorwurf machen, es bisher etwas lieblos hinein geworfen zu haben.
Als der Knecht zu frösteln begann, schlich er auf den Zehenspitzen die Bodentreppe wieder hinauf und schlüpfte in sein noch warmes Bett. Lange konnte er nicht einschlafen. Immer wieder musste er an das Männchen denken, das so flink im Stall arbeitete. Und wie ungerecht! So fleißig und gut und so eine alte Bekleidung! Sollte man dem Zwerg nicht eine Wohltat erweisen und ihm ein neues Gewand schenken?
Heldritt im Coburger Land
Aus der Fotoserie: Winterzauber auf den Langen Bergen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Am nächsten Tag nach dem Frühstück trug er seinen Plan den Mägden vor. Die waren sofort dabei, doch weniger aus Güte als aus List. Sie meinten das Männlein würde nach einem solchen Geschenk noch fleißiger und sorgfältiger arbeiten als bisher. Eine schlaue riet, dem Bauern nichts von dem Vorhaben zu verraten, damit er nicht auf den Gedanken kommen würde, ihnen den Lohn zu kürzen, weil ja das Männchen den größten Teil der Stallarbeit ausführte. Damit der Dienstherr nichts merkte, bestellten sie die Kleidung für den Zwerg sowie ein paar neue Stiefel bei einem Meister in Gauerstadt. Als alles fertig war, legten sie das Geschenk an einem Abend, als der Bauer bei seinem Patenkind in Beuerfeld zu Besuch war, sorgfältig auf den Futterkasten. Wie würde sich das Männlein freuen! Weder Knecht noch Mägde schliefen in dieser Nacht. Alle horchten gespannt auf jedes Geräusch im Hof und Stall. Aber kein Laut ließ sich hören. Keine Ketten rasselten, keine Tür knarrte, kein Freudenlaut ertönte.
Am nächsten Tag fanden sie Höschen und Stiefel unberührt auf dem Futterkasten. Keine Kuh war geputzt, keine Raufe gefüllt, die Barren leer. Auch in den folgenden Nächten war es in den Ställen ruhig. Das Männchen hatte, erbost über die niedrige Sinnesart der Mägde, das Geschenk verächtlich liegen lassen und war aus dem Stall geschlüpft, um nie wieder zu kommen.
Quellenhinweis: Andreas Stubenrauch