Eine Begebenheit aus der früheren Zeit als noch die Spinnstuben
der Treffpunkt für die Dorfjugend war
Eine Lichtstuben-Gesellschaft im Coburger Land
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
Vor dem Dorf Ahlstadt, kaum zweihundert Schritte entfernt, stand vor vielen Jahren ein ansehnliches Haus. Es wurde das Pöbelhaus genannt. Altertümlich war es anzusehen. Die Fenster hatten noch die bleigefassten Butzenscheiben, die bei jedem Windzug eigenartig klirrten. Die altersschwachen Fensterläden klapperten und die Haustür knarrte, auch wenn sie nicht geöffnet wurde. Das Haus war schon lange Jahre nicht mehr bewohnt, doch es standen noch Tische und Stühle in der geräumigen Wohnstube. Auch der Kachelofen aus Großvaters Zeiten war noch heil, er wartete nur noch auf Jemanden der in dem großen Aschenloch ein Feuer entfachen würde.
An der Wohnstube führte eine breite Treppe noch oben zum Dachboden, auf dem noch allerlei alter Hausrat herumstand. Vieles davon war noch recht brauchbar, aber niemand kümmerte sich darum. Nicht einmal die Betten in der Schlafkammer fanden einen Liebhaber. Nur Mäuse und Ratten balgten sich in den verlassenen Räumen. Die Kinder des Dorfes machten am Tag einen weiten Bogen um dieses Haus und die Erwachsenen fürchteten sich bei Nacht, wenn ihr Weg daran vorbeiführte. Das Haus war ja das Pöbelhaus und von einem Wechselbalg bewohnt. Zwar hatte noch niemand den Wechselbalg gesehen, doch jeder meinte, er wüsste genau, wie dieser aussieht und welche Gestalt er annehmen könnte.
Winter auf den „Langen Bergen“
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Es war in der Winterzeit. Tief verschneit lagen Wiesen und Felder. Der Wind trieb den Schnee über die Höhen und seine Wehen versperrten Weg und Steg. Die Bauern legten sich am Abend auf ihre Strohsäcke und zogen die Zudecken weit über die Ohren. Nur in den Spinnstuben brannte die Ölfunsel und ließ mit mattem Schein eine ansehnliche Gesellschaft Burschen und Mädchen erkennen.
Die Szene zeigt wie lustig und gruselig es beim Erzählen von Geschichten und
Sagen nach getaner Arbeit in der Spinnstube zuging.
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
Die Burschen saßen auf der Ofenbank, rauchten ein Pfeifchen und musterten die Mädchen, die in der Stubenmitte hinter ihrem Spinnrad saßen und eifrig die Rädchen schnurren ließen. Noch waren alle fleißig und ruhig. Als aber die Rochen abgesponnen und die Pfeifen ausgebrannt waren, kam Leben in die Gesellschaft. Der Hansjörg schlug vor, ein Pfänderspiel zu machen. Damit waren alle einverstanden. Die Margaret stellte die Fragen und verstand sie so geschickt vorzutragen, dass die meisten ohne Antwort blieben. Der oder die Unwissende musste ein Pfand in ihre Schürze werfen. Da sammelten sich Taschenmesser, Brusttücher, Pfeifenstopfer und Haarbänder. Als sich die Pfänder häuften, beendete man das Fragen und begann mit der Auslosung.
Jetzt erst wurde das Spiel lustig. Margret nahm ein Pfand in ihre verborgene Hand und stellte die Fragen an die Runde: "Was soll das Pfand in meiner Hand"? " Dreimal an die Tür klopfen", antwortete ein Mädchen. Margaret zeigte das Pfand vor und der Eigentümer musste zur Stubentür und laut und vernehmlich dreimal klopfen. Beim zweiten Pfand verlangte man das Singen eines Liedes, beim folgenden die Erzählung einer Geistergeschichte, die Anbetung des Ofens, drei Fragen hinter der Tür und so ging es weiter lustig fort. Immer gab es frohes Lachen, wenn sich ein Ausgeloster ungeschickt anstellte. So ging es geraume Zeit. Wieder hatte Margaret ein Pfand in der Hand. Die Lies hatte zufällig bemerkt, dass das Messer in der Hand dem Hansjörg gehörte. Schnell war sie mit einer Antwort bereit, die sicherlich lange schon vorausbedacht war. "Er soll in das Pöbelhaus gehen und dort eine Ofenkachel holen", rief sie halb ernst, halb heiter aus. Margaret zeigte das Pfand vor. Hansjörg stand auf, weil er sein Messer erkannte und wandte sich an die Lies, die er heimlich liebte: "Lies, du hättest gescheiter getan, von mir einen Schmatz zu verlangen. Du denkst wohl, ich laufe nicht zum Pöbelhaus? Ich habe keine Angst, ich hole die Kachel".
Er nahm seine Mütze von der Ofenstange und ging der Tür zu. Wie mit einem Schlag sprangen Jungen und Mädchen auf, umringten den Buben und wollten ihn von seinem Vorhaben abbringen. Selbst die Spinnstubenleute baten ihn von seinem Tun abzulassen. Er kenne doch wohl das Haus und seinen Bewohner. Ob er sich denn nicht vor dem Wechselbalg fürchte? Noch nie habe es ein Mann gewagt, geschweige ein Bursch. Ob er seinen Tod wolle? Als Hansjörg dennoch gehen wollte, hingen sich die Mädel an seinen Arm und seinen Rock und Lies hätte ihn beinahe umarmt. Auch sie liebte ihn im Stillen, wollte es aber nicht zeigen. Sie schämte sich sogar, dass sie mit dieser Zumutung das Leben ihres geheimen Schatzes aufs Spiel setzte, denn sie war überzeugt, dass niemand lebendig aus dem Pöbelhaus zurückkommen würde. Hansjörg merkte auch, dass Lies um ihn barmte, der wollte er zeigen, dass er nicht nur der starke Hansjörg sei, sondern auch der mutige. Er riss sich los und stürmte in die Nacht hinaus.
Im fahlen Licht des Mondes
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Der Mond stand im ersten Viertel und ließ mit seinem fahlen Licht die Häuser und die Gasse recht wohl erkennen. Der Schnee knisterte unter seinen Schritten und ließ sich von dem Nordwind vor dem Eilenden hertreiben. Die Kirchenuhr schlug gerade die elfte Stunde, als er das Pöbelhaus erreichte. Ohne zu zögern, öffnete er die knarrende Haustür, tastete sich an die Stubentüre heran und öffnete auch diese. Das Mondlicht ließ Tische und Stühle deutlich erkennen. Auch die Ofenkacheln glänzten matt von der Ecke her. Gerade wollte er sich diesen zuwenden, als ein Poltern von der Stube her ihn erschrecken ließ. Doch nur einen Augenblick stockte sein Herzschlag. "Die dummen Ratten“ beruhigte er sich selber. Doch zur Vorsicht glitten seine Blicke durch den Raum. Da - auf dem Tisch lag ein weißes Kissen. Und darauf schlief ein kleines Kind. Hatte er recht gesehen?
Beim Nähertreten sah er es deutlich. Das arme Würmchen! Nur mit einem Hemdchen bekleidet schlief es ruhig und tief, trotz der Kälte und des stürmischen Windes draußen. Hansjörg strich mit den Händen über die Augen. Narrte ihn doch die Angst? Nein. Im fahlen Mondlicht sah er das Köpfchen und das blumige Hemdchen. Rasch, aber behutsam nahm er Kissen samt dem Kindchen in seine Arme und verließ die Stube. Vorsichtig tastete er den Hausflur entlang und öffnete die Haustür. Da stand auf der Schwelle ein graues Männchen mit funkelnden Augen, "Halt!" schrie es, höre! Zu deinem Heil hast du das Kind genommen. Hättest du die Kachel herausgebrochen, hätte ich dir den Hals umgedreht!" Dann fuhr es mit leiser Stimme fort: "Mitleidige Seelen habe ich gerne. Du hast die Probe bestanden. Trage das Kindlein in sein Haus zu seiner Mutter". Das Männlein verschwand und Hansjörg eilte mit schnellen Schritten in das Dorf zurück.
In der Spinnstube herrschte Totenstille. Niemand wagte ein Wort zu sprechen. Die Lies zitterte. Sie fühlte sich schuldig, wenn dem Jungen ein Unglück zustoßen sollte. Wie eine Ewigkeit kam ihr die Wartezeit vor. Endlich öffnete sich die Tür und herein trat Hansjörg mit strahlendem Gesicht. "Eine Kachel bringe ich nicht, aber ein Kind", rief er schnaufend, "hier ist es"! Alle traten erstaunt und neugierig hinzu und schauten das liebliche Köpfchen im weißen Kissen. Die Abergläubigen fassten das Hemdchen an, ob nicht doch ein Teufelsspuk sie narren könnte. "Mein Kind, mein Kind" schrie jetzt die Frau, die sich nun auch durch die Umstehenden gedrängt hatte. Sie hatte mit einem Blick ihr Kind erkannt und riss es dem Hansjörg aus den Armen. Behutsam drückte sie das Kind an die Wange und küsste es. Indessen lief der Vater in die Schlafstube. Die Wiege, in die das Kind am Abend gelegt worden war, stand leer und die Kissen fehlten.
Das Pöbelhaus steht längst nicht mehr, doch noch heute erzählt man die Geschichte vom Wechselbalg und niemand wagt des Nachts allein die unheimliche Stätte zu betreten, wo einst das Haus gestanden ist.
Quellenhinweis: Andreas Stubenrauch