Hört ihr Leut`, wir geben kund…
Zu Besuch beim Nachtwächter in Bad Rodach
Bad Rodach
Aufmerksam gemacht wurden meine Frau und ich durch den „Rodacher Storch & Bad Rodacher Kurzeitung“ für den Monat August 2005. In dieser sehr interessant und informativ gestalteten Kurzeitung fanden wir in der Veranstaltungsübersicht unter dem 24. August den Hinweis auf eine Führung auf dem Nachtwächterturm an der Stadtmauer in Bad Rodach, verbunden mit einem Standkonzert der „Walburtaler Musikanten“ an der Alten Schule, sowie einen Auftritt der „Bad Rodacher City Dancers“ mit einem „Orientalischen Schleiertanz“. Und das Wichtigste war natürlich der „Nachtwächterauftritt“ bei dem ein „Gast-Nachtwächter“ mit von der Partie war. „Herz was willst du mehr?“
Übrigens, die heutigen Nachtwächter von Bad Rodach können Sie vom Mai bis September jeden Mittwochabend um 21.00 Uhr an der alten Stadtmauer am Pulverturm hören.Seit 1982 gibt es sie wieder die Rodacher Nachtwächter – natürlich nicht mehr mit den alten Aufgaben. Vom 16. Jahrhundert bis 1896 wurde das Nachtwächteramt in Rodach hauptamtlich wahrgenommen. Die Hauptaufgabe der Nachtwächter war, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, Diebe zu stellen, ausbrechendes Feuer rechtzeitig zu melden sowie die vollen Stunden anzublasen und einen Stundenvers zu singen. Von 22.00 Uhr bis 4.00 Uhr patrouillierten sie im fränkischen Städtchen.
Die Nachtwächter in früherer Zeit
Die Einsetzung der ersten Nachtwächter in Bad Rodach ist urkundlich nicht zu belegen. Das Stadtarchiv verfügt über keine Unterlagen aus der Zeit der mittelalterlichen Stadt. Bekannt ist jedoch die Wachordnung von 1829. Sie bestimmte die Aufgaben der drei Lautewächter und der acht „Stillen Wächter“. Bis Ende 1869 wurden vier Wächter aufgestellt, wovon jede Nacht zwei herumgegangen sind und an den ihnen angewiesenen Orten die Stunden abrufen mussten. Außer diesen Lautewächtern patrouillierten in jeder Nacht, im Sommer acht und im Winter sechzehn Männer aus der Bürgerschaft als so genannte „Stille Wächter“. Sie mussten auf Feuer, nächtliche Unfuge und verdächtige Personen Acht geben. Zu ihren Obliegenheiten gehörten Stadttore und Gasthäuser zu kontrollieren und das Anzünden der Straßenlaternen sowie das Löschen des Lichtes am nächsten Morgen.
Zu gewissen Anlässen verfassten die Nachtwächter eigene Verse, um der Obrigkeit die Meinung des Volkes ungestraft kund zu tun. Dieser Brauch wird auch heute wieder in Bad Rodach praktiziert. Es ist ein Ehrenkodex der Rodacher Nachtwächter, jeden Auftritt mit neuen Versen zu gestalten. Diese Aufgabe erfordert viel Geschick und ist für einen 30-minütigen Auftritt recht zeitaufwendig.
Eine kleine Kostprobe davon:
„Hört ihr Leut`, wir geben kund,
wir nehmen kein Blatt vor dem Mund,
alles was um uns passiert,
wird angebracht, gereimt und kommentiert.
Die Gäste all` wir informieren,
das Gute und das Schlechte,
wir glossieren, wir stehen ein für unsre Stadt,
die gut` Thermalbad hat.“
Im Jahr 1854 bewilligte die Stadtkasse 150 Gulden zur Wegschaffung gefährlicher oder der Stadt lästiger Personen. Im Jahr 1863 erfolgte dann die Abschaffung des allabendlichen Läutens des Rathausglöckleins um 21.00 Uhr. Am 1. Januar 1876 erklang das Stundenlied des Lautewächters zum letzten Mal in Rodach. Nach einer Eintragung im Stadtarchiv befand sich der Aufenthaltsraum der Wächter im Spritzenhaus, die Arreststube der Stadt. Es handelt sich um das Anwesen des Haushaltswarengeschäftes Genßler an der Heldburger Straße am Markt, gegenüber dem Fachwerkhaus „Fridolin“.
1982 wurde die Tradition in Rodach wieder aufgenommen. Anfangs verlacht und als Schwärmerei des Tourismusvereins ausgelegt, wurde der Vorschlag des ehemaligen Nachtwächters Wolfgang Grosch („Der Nickel vom Georgenberg“) in die Tat umgesetzt. In diesem urigen Gastwirt und Rodacher Urgestein fand man einen reinblütigen Nachtwächter-Nachfolger mit stimmgewaltiger Ausdrucksweise und Statur. Ist er doch ein Großneffe der letzten Nachwächter-Generation. Leider ist Herr Grosch verstorben.
Nach Originalunterlagen wurde die Bekleidung und Ausrüstung des Nachwächters angefertigt. Sie besteht schon seit frühester Zeit aus einem dunklen, langen Gewand, dem Nachtwächtermantel mit Hut, einem Horn, einer Lampe und einer Hellebarde, die als Hieb- und Stichwaffe bei Angriffen diente. Endlich war es soweit. Am 28. Juli 1982 fand der erste Nachtwächter-Rundgang in Rodach statt. Die Premiere zog sehr viele Besucher und Einheimische an und so ist es auch bis heute geblieben.
Als zweiter Nachwächter konnte der ehemalige Fabrikant für Plüschtiere, Herr Walter Kienel gewonnen werden. Er trat mit seinem Hund und seiner Gans auf, denn Gänse wurden schon in frühester Zeit als beste Wachtiere gehalten. Dem Ehrgeiz und der Einsatzbereitschaft von Herrn Kienel ist es zu verdanken, dass er im In- und Ausland noch heute mit Reisen und Korrespondenz weitere Berufskollegen aufspürt. Er war es der die Idee einer europäischen Zusammenkunft der Nachwächter verwirklichte. Er hatte bis in das Jahr 2004 den Posten des „Europäischen Zunftmeisters“ inne und ist heute dank seiner Verdienste deren „Ehrenzunftmeister“.
Mit dem „Maulkorberlass des Rodacher Bürgermeisters“ wurde Rodach im doppelten Sinn als Nachtwächterstadt bekannt. Da die gereimten Verse teilweise inhaltlich nichtöffentliche Stadtratssitzungen widerspiegelten und der Nachrichtenvermittler nicht gefunden wurde, sollten damals die Verse zensiert werden. So kam es, dass zwar das Geschehen in Stadt und Land besungen wird, jedoch wesentliche „Interna“ nicht mehr zu Gehör kommt.
Das erste Nachtwächtertreffen fand 1985 in Rodach statt. Aus sieben deutschen Städten bildeten sich Interessengemeinschaften. Dinkelsbühl, Meersburg, Münster, Nördlingen, Prichsenstadt, Rothenburg und Rodach bildeten ein buntes Bild deutscher Vergangenheit und gaben einen interessanten Rückblick auf das Brauchtum. Am 19. Mai des Jahres wurde auf dem St. Georgenberg die Idee der Nachtwächter- und Türmerzunft begründet und die Stadt Bad Rodach als ständiger Mittelpunkt und Zentrale im dänischen Ebeltoft 1987 festgelegt.
Das weltweit einzige Archiv befindet sich auf dem Nachtwächterturm in Bad Rodach. Es handelt sich um den Nordteil der ehemaligen Stadtmauer von 1550. Ehemals waren drei Tore und sieben Mauertürme vorhanden. Alle Geschenke und Andenken von den Treffen im In- und Ausland werden hier aufbewahrt. Aus Finnland, Dänemark, Schweden, Holland, Österreich, Polen und England befinden sich hier Raritäten und so ist Bad Rodach zur „Europäischen Nachtwächterstadt“ geworden. Auch die Zunftfahne der Nachtwächter befindet sich auf dem Rodacher Turm. Es handelt sich hierbei um ein Geschenk von den „Beeker Kleppermen“ aus Beck in Holland.
Jährlich an „Himmelfahrt“ treffen sich alle europäischen Nachwächter und Türmer zu ihrer großen Zunftsitzung mit Auftritten in Bad Rodach. Bei diesem Anlass werden auch „Neulinge“ durch Beschluss in die Nachtwächterzunft aufgenommen. Im Jahr 1995 wurde in Bad Rodach das „10. Europäische Nachwächtertreffen“ veranstaltet.
Zurzeit treten in Bad Rodach drei Nachwächter auf. Es sind dies: Roland Schmidt, Karl Engelhardt und Alfred Hahn. Sie wechseln sich wöchentlich ab. Wie bereits berichtet, beginnt jeden Mittwochabend um 20.30 Uhr das Standkonzert am Pulverturm, dort tritt gegen 21.00 Uhr der Nachtwächter auf. Nach der Verlosung einer Nachtwächterfigur, lädt der Nachtwächter die Gäste zu einem Nachtwächterumtrunk in eine Gaststätte in Bad Rodach ein und dort lässt man den Abend bei einem kühlen Bier oder einen Schoppen Wein ausklingen.
Es war ein sehr unterhaltsamer Abend in Bad Rodach und ich kann nur jedem empfehlen einen Besuch in das schöne fränkische Städtchen zu unternehmen und einen Abend mit dem Bad Rodacher Nachtwächter bei Blasmusik und sonstigen Darbietungen zu verbringen.Am Schluss meiner Reportage möchte ich mich für die Unterstützung, die mir dabei zu teil wurde, bei den Herren Roland Schmidt (Vorsitzender des Kur- und Tourismusvereins Bad Rodach und seinem Stellvertreter Lars-Jörg Otto recht herzlich bedanken.
Fotos: 2005 © Ulrich Göpfert