Porzellinerleben

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„Porzellinerleben“
Eine Ausstellung über die Alltagsgeschichte derer,
die das „weiße Gold“ schufen

Fein dekorierte Porzellanteller – als Kunstobjekt und Augenweide hat man sie schon oft bewundert. Aber wie sah das Leben derer aus, die sie geschaffen haben? Das der Porzellanmaler, der Dreher, der Druckerinnen oder Putzerinnen in der Porzellanfabrik? Dieser Frage geht die Ausstellung „Porzellinerleben – aus dem Arbeiten und Leben der Porzelliner in Europa“ nach, die ab 7. Februar 2014 als letzter Teil der Dauerausstellung im Porzellanikon in Selb zu sehen ist. Sie beleuchtet Facetten des Arbeitsalltags und des Alltagslebens der Porzelliner in ganz Europa.

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Die Porzellanindustrie entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant. Aus kleinen, eher handwerklich organisierten Betrieben wurden große Fabriken mit hunderten von Arbeitern, teilweise bis zu 2000. Das Belegschaftsbild der Porzellanfabrik Zeh, Scherzer & Co aus Rehau von 1905 zeigt dies anschaulich.
Foto: 2014 © Florian Miedl, Selb

Kinderarbeit, Lungenkrankheit, Akkordarbeit – das sind nur einige der Stichworte, die das Arbeitsleben der Porzelliner Mitte des 19. Jahrhunderts beschreiben. Seit sich die Porzellanherstellung Mitte des 19. Jahrhunderts von einer exklusiven Manufaktur-Kunst zur industriellen Porzellanherstellung wandelte, war sie von den Rahmenbedingungen und Nebenwirkungen der Industrialisierung betroffen. Die Porzellanindustrie hat Arbeit und Leben hunderttausender Menschen in Europa beeinflusst. Wie, das zeichnet die Ausstellung „Porzellinerleben“ im Porzellanikon Selb anhand von zahlreichen Objekten, Bildern, Videos, Lebensläufen und interaktiven Stationen nach.

Sie zeigt auf, wie die Porzellanfabriken das Leben von Menschen in ganzen Regionen dominierten: Sie arbeiteten in den Fabriken, gründeten Vereine, die sich aus den Betrieben rekrutierten, engagierten sich in Betriebsräten oder Gewerkschaften und organisierten sich auch gemeinsam ihr Freizeitleben. Selbst in Krankheit und Tod waren sie verbunden – Lungenkrankheiten wie die Silikose waren die „Geißel der Porzelliner“.

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Jahrzehntelang war das Tragen des Porzellans auf sogenannten Planken die einzige Möglichkeit, es von einem Arbeitsplatz zum nächsten zu transportieren. Selbst Frauen mussten große Gewichte geschickt über Treppen balancieren.
Foto: 2014 © Staffordshire Sentinel Newspapers

Porzellinerleben in der Fabrik...
Die Ausstellung beleuchtet den Arbeitsalltag der Porzelliner aus verschiedensten Blickwinkeln: Die Arbeitsbedingungen der Männer, Frauen und Kinder, sind dargestellt. An einer interaktiven Station können die Besucher die Entwicklung der Löhne in den letzten hundert Jahren verfolgen und sehen, wie lange beispielsweise ein Maler oder eine Druckerin für die üblichen Grundnahrungsmittel arbeiten mussten. „Fabrikordnungen“, die Arbeitszeiten, Verhaltensregeln und Strafen für Fehlverhalten regelten, machen die Bemühungen um eine Disziplinierung der Beschäftigten deutlich. Sie belegen aber auch das patriarchalische Selbstverständnis der mittelständischen Unternehmerpersönlichkeiten der Porzellanindustrie, das sich in ganz Europa glich.

...und außerhalb
Doch die Ausstellung widmet sich nicht nur dem Leben der Porzelliner in der Fabrik: Ausgehend von Unterstützungseinrichtungen für Krankheiten und Sterbefälle entwickelten sich im Rahmen der entstehenden Arbeiterbewegung Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften. Vor allem in Deutschland widmeten sich solche Zusammenschlüsse und Vereine zunehmend auch dem geselligen Leben zum Beispiel mit gemeinsamen Wanderungen und Festen. Die imposante Fahne des Malergesangvereins 1887 von Selb verdeutlicht in der Ausstellung sehr anschaulich die enge Verbindung von Vereinswesen und Freizeit der Porzellanarbeiter.

Die entstehenden Arbeitersiedlungen, die die Zuwanderung in die Keramikgegenden auffingen, prägten das Leben der Porzellanarbeiter ebenfalls. Zu Beginn diente der Wohnungsbau nur den elementarsten Bedürfnissen: Die sanitäre Ausstattung war dürftig, die Menschen lebten auf engstem Raum, die Selbstversorgung durch kleine Gärten und Kleinvieh diente der Senkung der Lebenshaltungskosten.

Durch die Dominanz der Porzellanindustrie bildete sich in den Porzellanregionen vielfach eine über Generationen bestehende Bindung von Familien an die vorherrschende Fabrik heraus. Um diese Verbundenheit der Menschen mit ihrer Region und ihren Fabriken nachvollziehbar zu machen, sind in der Ausstellung die Entwicklungen mehrerer Familien nachgezeichnet: In interaktiv zu bedienenden Fotoalben können sich die Besucher in die Familiengeschichten von „echten“ Porzellinern vertiefen.

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Porträt von Philip Rosenthal. Die wohl bekannteste Persönlichkeit in der Porzellanindustrie war gleichzeitig auch Politiker der SPD.
Foto: 2014 © Rosenthal GmbH

Weitere Themenbereiche beleuchten das Leben von Kindern und Jugendlichen in der Porzellanindustrie, die Auswirkungen zunehmender Rationalisierung auf die Arbeitsbedingungen der Porzellinern oder Prägende Persönlichkeiten auf der Unternehmerseite wie Theodore Haviland in Limoges oder Philipp Rosenthal in Deutschland.

All dies wird mit attraktiv aufbereitetem Bild- und Medieneinsatz zu einem echten Erlebnis für den Besucher. Die Ausstellung zeichnet so ein facettenreiches Bild des Lebens und Arbeitens der Porzelliner in Europa. Dabei endet sie keineswegs in der Vergangenheit. Bilder, Zahlen und Geschichten aus den heutigen Porzellanregionen zeigen, dass die Porzellinervergangenheit heute vielerorts noch durchaus sehr präsent ist.

Berater, Förderer und Unterstützer
Mit der Dauerausstellung: „Porzellinerleben – aus dem Arbeiten und Leben der Porzelliner in Europa“ schließt das Porzellanikon den 6. Bauabschnitt in Selb ab. Seit 1990 war hier unter der Förderung einer Vielzahl verschiedener Zuschussgeber Schritt für Schritt aus der einstigen Bauruine das Museum entstanden wie es sich heute darstellt.

Für den 6. Bauabschnitt sind folgende Zuschussgeber zu nennen:

EFRE – Europäischer Fond für die Regionale Entwicklung

Entschädigungsfond

Bayerische Landesstiftung

Oberfrankenstiftung

Beratend einbezogen war wie auch in den vorangegangenen Jahrzehnten die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, mit Herrn Hauptkonservator Georg Waldemer, dem derzeitigen kommissarischen Leiter, und der Innenarchitektin Eva-Maria Fleckenstein.

Das Ausstellungsdesign wurde gestaltet vom Büro: „DIE WERFT“, München, unter der Federführung von Swen Sieber.

Die in dieser Präsentation eingesetzten audiovisuellen Medien wurden realisiert in einer Kooperation der Fa. „Crushed ICE“, Hamburg/München, Friedrich Seydel, mit dem Porzellanikon, Herrn Jürgen Dickler, die Filmstrecken entstanden durch die Arbeit von Johe Press, Nürnberg, Jörg Hertle und Britt Mehler.

Die restauratorischen Arbeiten im Metallbereich wurden von Manfred Biedermann, Stolpen, in engem Zusammenwirken mit der Schlosserei des Porzellanikons, Herrn Joachim Möser, durchgeführt.

Die Ausstellungstechnik, Grafik und bauliche Umsetzung erfolgte überwiegend in den Werkstätten und der Grafikabteilung des Porzellanikons selbst. Zu erwähnen sind hier neben den bereits genannten Heinz Reimann (Schreinerarbeiten), Manfred Rebhahn (Elektrik) und Tanja Lang (Grafik)

Grundlage für die Entstehung der gesamten Ausstellung ist das wissenschaftliche Konzept und die darauf basierende Umsetzung von Wolfgang Schilling und Anke Mölling.

Wir danken den in- und ausländischen Partnern, in Nordostbayern, Thüringen, der Tschechischen Republik, Limoges (Frankreich) und Stoke-on-Trent (Großbritannien) sowie den vielen Menschen, die uns mit Rat und Tat Ausstellungsobjekte und vor allem ihren Kenntnissen und Erfahrungen geholfen haben.

Porzellanikon Selb
Museumsverwaltung
Werner-Schürer-Platz 1
95100 Selb
Fon +49 (0) 92 87.9 18 00-0
Fax +49 (0) 92 87.9 18 00-30
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