Jean Paul – Das Leben als Schreiben

Buchtipp
Helmut Pfotenhauer: Jean Paul – Das Leben als Schreiben
Erschienen im Hanser-Verlag

Autor: Dirk Kruse

Vor 250 Jahren wurde der fränkische Dichter Jean Paul geboren. Unter den zahlreichen Jubiläumsveröffentlichungen ist die neue Biographie des Würzburger Gelehrten Helmut Pfotenhauer herausragend.

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Buchcover: Jean Paul, das Leben als Schreiben – Pfotenhauer
Foto: 2013 © Hanser Verlag; Foto: BR-Studio Franken

Wenn ein Mittelfranke in Unterfranken einem Oberfranken sein halbes akademisches Leben weiht, dann ist das mehr als eine gesamtfränkische Angelegenheit. Helmut Pfotenhauer hat eine wirklich erhellende Biographie nicht nur über einen fränkischen Klassiker verfasst, sondern über einen Autor, dessen beste Werke zur Weltliteratur zählen.

Wie kein anderer Literaturwissenschaftler hat Pfotenhauer die Textgebirge dieses zwanghaft schreibenden Autors durchdrungen: die 11.000 Seiten veröffentlichte Werke, die 4.000 Seiten Briefe, die 12.000 Seiten Exzerpte über gelesene Bücher und die 28.000 Seiten Aufzeichnungen, Ideenskizzen und Gedankensplitter, aus denen der Dichter seine backsteindicken Romane zu komponieren pflegte. Pfotenhauer kennt sie alle – jede Zeile. Und er gibt ehrlich zu, dass das Lesen dieses ebenso witzigen wie gewitzten Autors nicht immer die reine Freude ist.

    "Das ist die Technik des humoristischen Romans. Es eben nicht von Anfang bis Ende zu erzählen, sondern es immer wieder zu unterbrechen, mit Abschweifungen zu versehen, auch immer wieder über die eigene Schreibsituation zu reflektieren und dabei eben nicht von A nach B zu gelangen. Das ist nicht-lineares Erzählen. Das macht es dem Leser oft sehr schwierig, Jean Paul zu verstehen. Auch ich, der mich jetzt seit 40 Jahren mit Jean Paul beschäftige, verzweifle immer wieder an diesem Autor. Wenn er zu sehr abschweift, wenn er zu viele Witze und Vergleiche macht, dann hasse ich diesen Autor, den ich ansonsten liebe."
Helmut Pfotenhauer

Mit seinem nächsten Roman "Hesperus oder 45 Hundsposttage" glückte Jean Paul dann ein Bestseller, der sogar Goethes "Werther" den Rang ablief. Kaum ein Autor seiner Zeit wurde so viel gelesen und war so populär wie dieser erstaunliche Verfasser aus der fränkischen Provinz. Besonders die gebildeten Frauen lagen Jean Paul zu Füssen. Wo immer er auftauchte bereiteten ihm seine Fans und Groupies begeisterte Empfänge, die dem Dichter zwar schmeichelten, aber ihn von dem abhielten, was ihm am wichtigsten war: dem Schreiben.

Vielleicht ist das der Grund, warum dieser Klassiker, anders als seine Zeitgenossen Goethe und Schiller heute nur noch wenig gelesen wird. Wegen seiner ständigen Gedankenakrobatik und der vielen Wortneuschöpfungen ist Jean Paul nicht eben eine leichte Lektüre. Aber die Mühe lohnt sich, weist Helmut Pfotenhauer in seiner Biographie nach.

    "[Er ist meiner Meinung nach] einer der größten Sprachkünstler, nicht nur im Deutschen, sondern überhaupt in der Weltliteratur. Und als dieser ist er wiederzuentdecken."
Helmut Pfotenhauer

"Das Leben als Schreiben" hat Helmut Pfotenhauer seine vor interessanten Erkenntnissen nur so strotzende Biographie genannt. Denn Jean Paul war ein monomanischer Autor, der erst am Schreibtisch aufblühte und nur im Schreiben wirklich lebte. Viele Jahre nagte der erfolglose Schriftsteller dabei buchstäblich am Hungertuch, doch dann schickte er ein Manuskript an den damals hochberühmten Karl Philipp Moritz – einer Art Marcel Reich-Ranicki der Weimarer Klassik.

    "Karl Philipp Moritz war der erste große Fürsprecher. Das war einer der glücklichsten Momente in Jean Pauls Leben. Der lange Zeit verarmte und vereinsamte Schriftsteller, der dann seinen ersten Roman 'Die unsichtbare Loge' schreibt, und ihn Moritz zuschickt. Moritz wollte das zuerst nicht lesen, kurz vor seinem Tod. Er war schon krank. Aber dann liest er es doch und sagt: Das könne er gar nicht begreifen, das sei ja noch über Goethe. Das schrieb er Jean Paul. Und das war der erste Triumph in seinem Autorenleben und vielleicht auch der wichtigste. Das hat ihm gezeigt: Ja, ich bin literarisch wer."
Helmut Pfotenhauer

    "Er war 1800 bis 1801 für ein halbes Jahr in Berlin. Und da lag ihm die ganze Gesellschaft zu Füßen - nicht zuletzt die Frauen, vor allem die vornehmsten Frauen bis zur Königin Louise. Und auch die anderen Intellektuellen - Fichte beispielsweise oder die Brüder Schlegel, Tieck – sie alle haben Jean Paul aufgesucht. Er hätte sich feiern lassen können. Aber er sagt, das lenkt ihn zu sehr vom Schreiben ab, das geht auf die Dauer nicht gut, das macht ihn unzufrieden. Und deshalb entscheidet er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere für die Provinz - und für die Ehe. Das sind die beiden Bedingungen, die ihm das kontinuierliche Schreiben ermöglichen sollen."

Verständlich und erkenntnisreich zieht Helmut Pfotenhauer die Bilanz seines Gelehrtenlebens mit Jean Paul. "Das Leben als Schreiben" ist das Portrait eines vom Schreiben Besessenen aus dessen Werk heraus gedeutet. Es besticht durch ebenso profunde wie überraschende Detailkenntnis. Das dürfte das neue Standardwerk werden.

Weitere Informationen
Helmut Pfotenhauer
Jean Paul – Das Leben als Schreiben.
Biographie. München 2013,
Hanser Verlag, 512 Seiten,
27,90 Euro,
ISBN 978-3-446-24002-5

Quellenhinweis: BR.de – Franken – Buchtipps - Helmut Pfotenhauer

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