Der Spielmann von der Heyde-Moorwiese

Der Spielmann von der Heyde-Moorwiese

Eine Sage aus dem Sumpfgebiet zwischen Neustadt und Heubisch


Die Sage  spielt in der Zeit, in der die Fuhrleute aus Böhmen noch an den Randbergen des Sumpf- und Heydekessels entlang, von Mitwitz nach Neustadt fuhren.

 

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Der Spielmann – Illustration: unbekannt

Repro: Ulrich Göpfert


Es war das Wirtshaus am Markt von Neustadt, das „Hänsel-Wirtshaus“, in dem der bucklige Spielmann für die fremden Fuhrleute auf seiner Geige aufspielte. Oft sangen die Männer alte Lieder des fahrenden Volkes dazu. Sie hatten ihre Pferde versorgt und das Bier, das in Neustadt gebraut wurde, schmeckte gut und war recht süffig. Wo der Spielmann herkam, wusste niemand. Er war ein im ganzen Umkreis bekannter und gesuchter Musikant, der im Weidach am Mühlgraben ein Kämmerlein hatte und im Rufe stand, sehr gut musizieren zu können.

 

So kam es, dass ein vornehmer Herr, der im Gasthaus Einkehr gehalten hatte, ihn in seinem Reisewagen mitnahm. Als musikalische Überraschung sollte er zu einer Hochzeit am Abend auf dem Schloss von Hassenberg aufspielen. Schon kurz nach Mitternacht war seine Arbeit getan. Nun wanderte er auf dem alten Fuhrweg die Steinach entlang in Richtung Neustadt. Der Sommer ging zu Ende; es war mildes Wetter.

 

Ungefähr beim heutigen Dorf Horb stand ein Brunnen an der Straße vor einem weiter zurückliegenden Gehöft. Auf einem umgedrehten Waschzuber saß scheinbar müde ein altes Weiblein. Es schien trotz der milden Nacht zu frieren. Vom Laufen war es dem Spielmann unter seinem Umhang recht warm geworden. Er legte ihn der Frau um die Schultern und setzte sich neben sie. Sein „Schnappsack“ war mit Brot voll und Fleischstücke vom Fest befanden sich ebenfalls darin. Außerdem war seine Flasche aus Leder mit Muskatellerwein gefüllt. Er reichte der Alten von seinem Essensvorrat ein paar Brocken und gab ihr auch einen kleinen Holzbecher, den sie aus ihrem Kittel hervorzog, voll mit seinem Wein. Da wurde das Weib sichtlich „lebendiger“.

 

Auf seine Frage: „Wohin des Weges in der Nacht, liebe Frau?“ Sagte sie: „Nicht mehr weit zu meinen Freunden, zum Fest!“ Sie fügte hinzu: „Du hast doch eine Geige? Komm mit und spiel uns auf!“ Trotz seines leicht verwirrten Zustandes war der Musiker sehr erstaunt, denn bis zu den „Drei Eichen“, wo ein Hänsel-Wirtshaus stand, war es noch ziemlich weit. „Komm mir nach“, sagte die Alte. Sie hinkte scheinbar etwas, wurde aber nun sehr munter.

 

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Foto: © Ulrich Göpfert

 

Es war die Heubischer Müß mit ihren Sumpftümpeln, in die sie hineingingen. An einer Reihe alter Weidenstümpfe, zwischen zwei kleinen Bauernwäldchen entlang, führte der kleine Trampelpfad. Sie erreichten eine kleine Waldwiese, die zwischen Buschwerk verborgen, über eine Moorwiese in einem kleinen Tümpel sich verlor. Dort war auch die Reihe der Weiden zu Ende, die wie Gespenster in der Nacht aussahen.

 

Der Mond stand schon tiefer und die Sterne wurden etwas blasser, als das alte Weib stehen blieb. „Setz dich auf den Stamm vor der Weide und spiel auf!“ sagte sie zu ihm. Dann war sie, wie vom Erdboden verschluckt, verschwunden.

 

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Foto: © Ulrich Göpfert

 

Unser Spielmann war sehr erschrocken, als er merkte, dass er vollkommen allein mitten in der nächtlichen Müß stand. Er setzte sich aber auf den am Boden liegenden Stamm und stimmte im Mondlicht seine Geige. Vor Tagesanbruch würde er den Rückweg niemals finden, das war ihm klar. Spiel ich mir halt selbst die lustigsten Tanzstückchen, sagte er vor sich hin und begann zu spielen.

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Foto: © Ulrich Göpfert


Ganz vertieft in seine Melodien merkte er nicht, wie der Nebel über dem Sumpfgebiet immer dichter wurde. Plötzlich sah er Figuren, die im Nebel im Reigen hüpften, wisperten und lustig kicherten! Als seine Tanzstücklein der Reihe nach durch gespielt waren, machte er eine Pause. Über ihm aus den Ruten der Kopfweide, an die er sich mit seinem Buckel anlehnte, ertönte plötzlich eine Panflöte mit einer fremdländischen Tanzmusik, wie er sie noch nie gehört hatte. Sie ging ihm sogleich ins Blut und seine Füße zuckten im Takt der Flötentöne. „Spiel mit!“ hörte er in sich eine Stimme. Es war ihm so, als hätten seine Finger schon immer auf den Saiten seiner Geige diese Melodie gegriffen. Der Tanzwirbel im Nebel und das Kichern und Wispern, das von den Nebelfiguren kam, wurde noch stärker.

 

Die Panflöte aus dem Weidenkopf über ihm brachte nicht nur diese eine Melodie. Noch ein paar wunderschöne lustige Stückchen erklangen auf der Flöte. Mühelos spielte er mit der Flöte zusammen. Da wurde es langsam heller. Im Osten hinter dem Berg, der wie ein Sargdeckel in der Heyde liegt, erschien ein feiner roter Leuchtstreif am Horizont über dem Wald. Der Nebel lag plötzlich dicht und ruhig über dem kleinen Tümpel.

 

Auch die Alte, die noch unter seinem Umhang steckte, stand plötzlich wieder vor ihm. „Hier stärk dich und trink“ sprach sie weiter und zog aus ihren weiten Kleidern einen silbernen Becher hervor, den sie ihm gab. Aus dem Becher duftete ein guter Wein. Nachdem er daraus getrunken hatte, spürte er eine wohltuende Kraft und Glut, die von dem Trank ausging, durch seinen Körper strömte. Ja er spürte, dass sich sein buckliger Rücken langsam streckte, und zwar ohne Schmerzen, die ihm dieser oft bereitet hatte. „Bleib noch eine Weile auf dem Stamm sitzen bis es hell ist über dem Sumpf“ sagte das alte Weib. Als er den Becher an die Frau zurückgab fiel plötzlich der Umhang, den er ihr geliehen hatte, zu Boden. Eine lächelnde Fee stand an ihrer Stelle vor ihm, was ihn sehr erschreckte. Erstaunt rieb er sich die Augen, da war sie wie ein Spuk verschwunden. Nun setzte er sich wieder auf den Stamm, wickelte seinen Mantel um sich und schlief ein.

 

Er erwachte erfrischt, als die Sonne des nebligen Herbstmorgens voll über den Kiefern stand. Noch etwas benommen von dem Ereignis dieser Nacht schaute er sich um. Es standen um ihn herum aber nur die langen Kolbenstengel der Pappeln und weißblühendes Sumpfgras und Schilf, das in die kleine Wasserfläche des Tümpels überging.

 

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Foto: © Ulrich Göpfert

Die Reihe der gestutzten Weidenköpfe neben dem Trampelpfad, der auf die Straße führte, vervollständigte das Bild. Er stand auf und spürte keinen Buckel mehr. Erfreut hängte er sich den Holzkasten mit seiner Geige auf den Rücken. Es war nicht mehr nötig ihn wegen des Buckels vor der Brust zu tragen. Mit seinem Schnappsack und seiner vollen Lederflasche ging er zum Brunnen zurück, an dem er die zerlumpte Alte getroffen hatte. Dort legte er seinen Umhang auf die kleine Bank neben diesen. Den Geigenkasten stellte er darauf. Um seinen müden Kopf etwas zu erfrischen, wollte er mit den Händen Wasser aus dem Brunnen schöpfen, der glatt wie ein Spiegel vor ihm lag. Was er schon an der alten Weide im Sumpf gefühlt hatte, war jetzt klar ersichtlich. Sein Spiegelbild zeigte keinen Buckel mehr. Nun wurde ihm bewusst, dass alles, was er in der Nacht erlebte, kein Traum gewesen war, sondern Wirklichkeit. Als sich dann der Hunger meldete, setzte er sich auf die Bank und holte aus seinem Schnappsack ein Stück Brot hervor. Noch einmal wurde er an die Nacht erinnert, als zwei Mägde aus dem Hof kamen, um ihre Bütten, die sie auf dem Rücken trugen, mit Wasser zu füllen. Nachdem sie ihn mit einem „Guten Morgen“ begrüßt hatten, erzählten sie sich von den sonderbaren Melodien, die in der Nacht aus dem Sumpf erklungen waren.

 

Mittlerweile war es heller Morgen geworden. Als das Knarren von Wagenrädern und Hufschlag aus dem nahen Waldstück zu vernehmen waren, schickte er sich gerade an, weiter zu Stadt zu wandern. Ein Kaufmann in fremder Tracht kam langsam heran geritten. Ihm folgten zwei Handelsfuhrwerke. Sie machten Rast und ließen die Pferde am Brunnentrog saufen. Der Herr fragte den Spielmann, ob er aus dem Städtchen sei, das an dem nahen Berg liege. Er suche einen guten Schmied. Eines seiner Zugpferde habe an der Furt durch den Fluss ein Eisen verloren und brauche schnell ein neues. Er käme aus Prag. Mit seinen Waren wolle er nach Erfurt. Unser Spielmann bot dem Kaufmann an, ihn und seine Wagen zum nächsten Schmied, den er gut kenne, zu führen. Die Werkstatt liege noch vor dem Stadttor in der „Zwiezau“. Da würde er erst einmal den „Stadtzoll“ sparen. Diese Worte gefielen dem Kaufmann sehr.

 

Über den Kreuzweg in der Heyde am „Schwarzen Baum“ vorbei, kamen sie zum Schmied, der gerade mit der Arbeit begann. Auf dem Wegstück zum Städtchen, bei dem der Spielmann neben dem Fuhrmann sitzen durfte, wurde ihm der verschwundene Buckel erst so richtig bewusst. Ihm wurde klar, dass er von dem Erlebnis in der Nacht am Moortümpel niemanden etwas erzählen durfte. Ohne Zweifel hätte das seinen Tod zur Folge gehabt. Man würde ihn wegen „Umgang mit Hexen“ foltern und umbringen!

 

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Illustration: Rudolf Köselitz
Repro: Ulrich Göpfert

 

Der Kaufmann, erfreut über seinen Hilfsdienst, schenkte ihm noch ein Barett mit einer Feder, wie es die böhmischen Dudelsachpfeifer trugen. Er konnte dazu auch einen schönen bunten Mantel bei dem Händler erwerben. Nach kurzem Überlegen beschloss er sich als Bruder des Spielmannes auszugeben, der aus Böhmen als fahrender Musikant zu Besuch kam. Der Schmied empfahl dem Handelsmann seine Wagen und Pferde noch einmal vor der Fahrt über die Waldberge nach Erfurt auf mögliche Schäden von der bisherigen Reise überprüfen zu lassen. Dieser nahm den Vorschlag an und konnte seine Pferde beim Schmied einstellen. So kamen der Kaufmann und sein Begleiter zu Fuß und kaum kontrolliert von der Torwache in die Stadt, wo der Händler im „Stern“ am Markt ein gutes Quartier fand. Der Wirt erkannte, wie erhofft, den Spielmann, der nach seinem „buckligen“ Bruder fragte, nicht. Er sagte ihm, dass dieser in der Umgebung zu einem Fest aufspiele und einige Tage fort sei. Den „Böhmischen Musikus“ fragte er, ob er am Abend für die Fuhrleute etwas spielen könne. Mit schöner lustiger Musik würden sie sein gutes Bier bestimmt noch viel lieber trinken und vielleicht sogar tanzen.

 

So geschah es, dass das große Wirtshaus am Markt zum „Tanzhaus“ wurde. Der Spielmann war vorsichtig und probierte, nachdem er vom Wirt Speise und Trank erhalten hatte, erst einmal die neuen Lieder aus, die er in der Nacht im Moor aus dem Kopf der Weide gehört hatte. Sie kannte bestimmt noch niemand. Danach wollte er ein paar alte Weisen spielen, aber es kam anders. Die neuen Tanzweisen, die er zusammen mit dem Panflötenpfeifer gespielt hatte, konnte der wiedergeben, als hätte er schon viele Jahre so musiziert. Sie mussten oft wiederholt werden! Die Fuhrleute im Wirtshaus hatten noch nie eine solche fremdartige Tanzmusik gehört. Sie fuhr ihnen in die Beine, dass sie sprangen wie die Geißböcke. Auch ein paar Bürger hörten die Klänge vom Markt. Am nächsten Tag erschien eine Abordnung der „Stadtoberen“ mit dem Pfarrer im Wirtshaus. Sie verboten dem Wirt, dass der Bruder des buckligen Geigers aus Böhmen in dieser Stadt noch einmal solch eine Musik wie in der vergangenen Nacht machen dürfe! Es sei „Heidenmusik“!

 

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Illustration: Rudolf Köselitz
Repro: Ulrich Göpfert

 

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt.

Unser Spielmann, der mit anderen Musikanten schon vor Jahren auf den verschiedensten Burgen in Thüringen aufgespielt hatte, kannte auch die Wege nach der großen Stadt Erfurt. Er bot dem Kaufmann an, sein Reiseführer zu sein. Der stimmte erfreut zu. So kam es, dass er mit dem Tross des Kaufmanns bis nach Prag gekommen sein soll, wo er ein bekannter Tonsetzer (wie man damals sagte) wurde und dort geblieben ist.

In dem Städtchen in der Heyde wurde jedenfalls nie wieder etwas von ihm gehört.

 

Quellenhinweis: Otto Schlapp
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