„Zu spät“

Auszüge aus dem Dorfroman des fränkischen Heimatdichters Heinrich Schaumberger

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Heinrich Schaumberger
Repro: Archiv Ulrich Göpfert

In meinem heutigen Beitrag möchten ich über den fränkischen Heimatdichter und Volkserzähler Heinrich Schaumberger berichten und dabei mit einem Auszug aus seinem Dorfroman „Zu spät“ an ihn erinnern:

„Weich' aus, Paule!“ rief der Veitenbauer, eine hagere, etwas gebeugte Gestalt mit roten, fließenden Augen im verkniffenen Gesicht, seinem Sohn zu, als am oberen Ende der Schleifgasse unter dem Hexentor, zwei ins Kreuz gewachsenen Vogelbeerbäumen, dichte Staubwolken aufstiegen und Hufschlag eilender Rosse hörbar wurde. „Weich' aus! Der Türkenfritz fährt einmal wieder wie ein Narr; möcht' wissen, ob der auch noch gescheit wird!“

Bei dem Namen Türkenfritz fuhr das Veitenbärble, die hinter dem Vater drein ging, erschrocken zusammen und schmiegte sich so dicht an den Wagen, als wolle sie um alles in der Welt nicht von dem Genannten gesehen sein. Im vollen Rosseslauf, von Staubwolken umhüllt, rasselte auch richtig ein Leiterwagen herab, aber trotz der rasenden Flucht war die Warnung des Veitenbauers überflüssig gewesen, denn der schlanke Bursche, der lachend vorn auf dem Leiterwagen stand, hielt die schnaubenden Pferde fest im Zügel und wich jedem Hindernis gewandt aus. Schon von weitem fasste er die Veitenleute scharf ins Auge; als ihn aber nur die Mutter begrüßte, verschwand das Lächeln von seinem Gesicht; trotzig knallte er mit der Peitsche, dass die Pferde hinten und vorn ausschlugen, und es schien ihm Freude zu machen, wenn die Fußgänger erschrocken vor den schäumenden Tieren hinter die Bäume am Weg flüchteten.

„Kreuz, Hagel! Bist du verrückt?“ schrie ein Bursche zornig, den hinter der Grundmühle, nach der scharfen Biegung des Weges, nur ein rascher Seitensprung vor den Hufen und Rädern rettete. „Ist das eine Manier zu fahren? Musst du mit deiner Tollheit die Leute in Gefahr bringen?“

Fritz war selbst heftig erschrocken, zügelte sein Gespann ein und brachte nach vieler Mühe die aufgeregten Tiere zum Stehen. „Wo willst hin?“ rief er ziemlich kleinlaut nach dem Burschen zurück, der in Sonntagskleidern, mit einem Paar neuer Stiefeln über der Schulter, rüstig dahinschritt.

„Nach Grumbach – was fragst?“

„So mach' voran, kannst bis in die Erleswiesen mitfahren.“

Das ließ sich der Bursche nicht zweimal sagen, kletterte, während die Pferde schon wieder anzogen, auf den Wagen, lehnte sich neben Fritz, der noch immer frei stand, an die Wagenleiter, schlug sich Feuer und meinte. „Was ist mit dir? – Siehst ja ganz desperat aus!“

„So? – Ist dir's den ganzen Tag lacherig?“ .„Nu – man braucht deswegen auch kein Gesicht zu machen, wie die Katz', wenn's donnert! – Holla! – ich hab's! – Ha ha – 's ist von wegen dem Bärble! – Dass mir das nicht gleich eingefallen ist!“

Das Lachen verdross aber Fritz gewaltig; grob fuhr er seinen Kameraden an: „Bist ein Donnerskerl! Hörst das Gras nicht auch noch wachsen?“ „Huhu! – friss mich nur nicht! – Meinetwegen kannst du heulen oder lachen – 's ist mir ganz egal!“

Eine Weile war es still auf dem Wagen; der Bursche, dessen gedrungene Gestalt und schwielige Ballen der Hände den Schuhmacher verrieten, machte sich mit seiner Pfeife zu schaffen; Fritz schwippte unmutig mit der Peitsche und ward noch verdrießlicher, da ihm kein Doppelschlag gelingen wollte. Unterdessen rollte der Wagen langsam auf der hochgelegenen Landstraße hin, von der man den weiten Werthagrund überblicken konnte. Die Sonne stand dicht über den Tannen des Kulms, ihre schrägen Strahlen vergoldeten die Erlen und Pappeln drüben am Fluss, deren Schatten sich endlos über den dunkelgrünen Rasenteppich breiteten.

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Illustration Rudolf Köselitz
Repro: Archiv Ulrich Göpfert

Trotz der weit vorgerückten Tageszeit waren die Wiesen noch voll fleißiger Menschen, die in fröhlicher Arbeit, vom Abendsonnengold umflossen, durcheinanderwimmelten. Hohe, turmartig aufgebaute Wagen fuhren zwischen langen, niederen Heuhaufen dahin, die alle noch droben Platz finden sollten; an anderen Stellen schichteten die Mädchen das halbtrockene Gras auf kleine Schober, ihre roten Halstücher, die kurzen, weißen Hemdärmel leuchteten, und nicht selten blinkten auch die durch langen Gebrauch polierten Rechenstiele wie Metall! Dazwischen tummelten sich jauchzende Kinder, Hunde jagten spielend umher, und von da und dort klang die Sense eines einsamen Mähders. Der leichte Abendwind brachte wohltuende Kühlung und trug süßen Heugeruch das Tal herab. Aufatmend sagte der Schuhmacher: »'s ist doch eine Gottespracht in der Welt, absonderlich in unserem Bergheim. Bin weit 'rum 'kommen draußen, aber so hab' ich's nirgends gefunden. – Ja, Bergheim ist eben Bergheim! – Und nun noch das Wetter! – Ich mein', euch Bauern müsste das Herz im Leib' lachen; solche Ernte ist lange nicht dagewesen…

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Weißenbrunn vorm Wald
Illustration Rudolf Köselitz
Repro: Archiv Ulrich Göpfert

Weißenbrunn vorm Wald wurde von Heinrich Schaumberger in seinen Werken poetisch mit "Bergheim“ bezeichnet. Schaumbergers wichtigsten Werke sind u.a.: "Bergheimer Dorf- und Musikantengeschichten“, "Zu spät“, Vater und Sohn“, "Fritz Reinhardt“ sowie "Im Hirtenhaus“.

Die große Liebe zu seiner Heimat und den Menschen, deren Charaktere er meisterlich in seinen Geschichten schilderte, seine großartige Beobachtungsgabe, die einzigartigen Naturbeschreibungen geben seinen Erzählungen und ihren Personen erst die Echtheit, die den Leser immer wieder gefangen nimmt. Die Hinweise auf die soziale Lage der Menschen und die Detailbeschreibungen des Lebens auf dem Lande geben durch die Werke und Erzählungen des Fränkischen Dichters und Volkserzählers Heinrich Schaumberger ein genaues umfassendes Bild dieser Zeit.

Der Heimatdichter Heinrich Schaumberger wurde am 15. Dezember 1843 in einem Erkerstübchen des alten Schulhauses in Neustadt bei Coburg (jetzige Glockenbergschule) geboren. Er lebte seit 1849 in Weißenbrunn vorm Wald. Im Alter von nur 31 Jahren ist er am 16. März 1874 in Davos/Schweiz an einem Lungenleiden gestorben. Er war Volksschullehrer in Einberg, Ahlstadt und in Weißenbrunn vorm Wald.

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Heinrich Schaumbergers Wirkungsstätte: Das ehemalige Schulhaus in
Weißenbrunn vorm Wald wurde zum Heimatmuseum umgestaltet
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert

Heinrich-Schaumberger-Museum
Öffnungszeiten:
Nach Terminvereinbarung mit Familie Ehrlicher,
Weißenbrunn vorm Wald, Bergheimstr. 29, Tel. 09563/1619

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