"Die Spinnera"

Eine Erzählung aus dem Coburger Land

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Ein Blick auf das Dorf Watzendorf.
Dorthin ging die "Spinnera" in die Spinnstube
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert

Elsa, der Magd in dem kleinen Weiler Sorgenhof, wurde es an den langen Winterabenden zu einsam. Bei der Bäuerin sitzen, Strümpfe stopfen, Linnen flicken und endlos das Spinnrad drehen, war wohl für das fleißige und folgsame Mädchen eine liebe Beschäftigung, doch sehnte sich das lebenslustige Ding nach Kameradinnen, nach Kurzweil und Freude.

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Das Repro zeigt den Sühnestein
der für die "Spinnera" aufgestellt wurde
Repro: Archiv Ulrich Göpfert

Wie schön war es da in Watzendorf, wo allabendlich das junge Volk in der Spinnstube zusammenkam. Da wurde gesungen und erzählt, geneckt und getanzt, wenn die Strickarbeit beendet oder der aufgesetzte Rocken abgesponnen war. Dorthin wollte sie auch gehen und lustig sein. Als sie einmal nach dem Abendbrot der Bäuerin den Wunsch vortrug, nach dem Dorfe zu gehen, um teilzuhaben an der Freude und Geselligkeit der dortigen Jungen und Mädchen, runzelte die gute alte Frau die Stirn und verwies sie an den Bauern. Nur er als der Dienstherr könne die Einwilligung dazu geben.

Der Bauer war ein strenger Mann. Er war zwar sehr zufrieden mit seiner fleißigen und willigen Magd, gönnte ihr auch Lust und Freude, aber in der Nacht das kleine Ding durch den dunklen Wald allein nach Watzendorf gehen zu lassen, konnte er nicht übers Herz bringen. Zudem befürchtete er, dass die Spinnstube in der Nacht zu lange ausgedehnt werde und der verlorene Schlaf der Gesundheit der Magd nicht dienlich sei. Vielleicht meinte er noch, seien dort auch böse Spießgesellen. Er habe schon gehört, dass in manchen Dörfern in den Spinnstuben Unartigkeiten vorgekommen seien. Da sei es schon besser, sie bleibe schön bei der Bäuerin.

Elsa sah ein, dass der Bauern in vielem recht hatte, doch lockte die Spinnstube und ihre Freude so gewaltig, dass sie nicht aufhören konnte zu bitten, bis endlich der gestrenge Dienstherr nachgab und ihr gestattete, öfters nach Watzendorf zu laufen, wenn sie hoch und heilig beschwor, jedes Mal vor Mitternacht wieder zu Hause zu sein. Schnell verrannen die Stunden in den Bauernhäusern in Watzendorf, in denen gerade die Lichtstube abgehalten wurde. Da klapperten die Stricknadeln, surrten die Spulen der Spinnräder und knarrten die Wafn. Da lachten und kicherten die Mädchen, wenn der Jörgl die drollige Geschichte von der Marie erzählte, die oben auf der Tiereller einen Korb Gras holte und vor dem Hofbauernhund ausgerissen ist, weil sie glaubte, es sei ein verwunschener Räuberhauptmann. Sie saßen alle still und aufmerksam, wenn die Rede von der Otternkönigin und den Krötenschatz zu Obersiemau kam. Manchmal kamen auch einigen Mädchen die Tränen, wenn neben vielen alten Volksweisen das Lied von den beiden Königskindem angestimmt wurde.

Kurz vor 11 Uhr packte Elsa ihre Siebensachen zusammen und eilte heimwärts. Der Weg war eng und schmal durch die Felder und dunkel durch den Wald. Man braucht eine Stunde, wenn man gemächlich ging. Elsa war jung und stramm. Sie schaffte ihn in einer halben. Schnell kroch sie unter die Decke, schlief ruhig und fest und war am nächsten Morgen beim Hahnenschrei schon wieder wach und bei der Arbeit. Der Bauer lobte seine Magd wegen ihrer Sittsamkeit, vergaß aber nicht, dann und wann eindringlich darauf hinzuweisen, dass er unnachsichtig strafe, wenn auch nur einmal die Zeit der Heimkehr überschritten würde. Er sei nicht nur gesonnen, das Spinnstubenlaufen zu verbieten, er würde sie sogar schimpflich von Haus und Hof jagen. Das sei dann eine große Schande und weit und breit würde sie kein ehrbarer Bauer mehr in Dienst nehmen. Ja, noch mehr, kein achtbarer Bursch würde sie dann zum Weibe nehmen.

Wieder war es Winter geworden, die Zeit der langen Nächte gekommen. Elsa ging nach Watzendorf in die Spinnstube, lief rechtzeitig heim, freute sich der lustigen Possen des Jörgl und tanzte auch tüchtig mit den Jungen, wenn ihre aufgetragene Arbeit weit vor Aufbruch beendet war. Die Jungen rissen sich um die flotte und schöne Tänzerin und sahen es ungern, wenn sie so bald schon nach Hause eilte. Da beschlossen sie insgeheim, das nächste Mal dem schönen Mädchen ein Schnippchen zu schlagen. Sie wollten die große Standuhr eine Stunde zurückstellen und sie so zum längeren Verweilen zwingen. Der nächste Tag war grausig. Früh schon lag ein dichter Nebel über Feld und Flur. Mittags kam ein Westwind auf, brachte leichten Regenschauer und gegen Abend sagte die Bäuerin, es würde wohl in der Nacht ein Wetter sein, bei dem man einen Hund hinausjagen würde. Das Beste sei, man verkröche sich beizeiten in sein warmes Bett. Elsa verkroch sich aber nicht in ihr warmes Bett. Kaum hatte sie den Vespertisch abgeräumt, das Geschirr gespült, den Riesenknorz in den Kachelofen geschoben und das Katzentröglein mit Milch gefüllt, erwischte sie die Wafn und den Wollbeutel und eilte nach Watzendorf Das bisschen Regen, was konnte es schon schaden? Zwar waren das Kopftuch und der Umhang nass zum Auswinden, der Kachelofen in der Lichtstube trocknete sie schnell.

Heute war es anfangs recht still bei den Jungen und Mädchen. Einige waren des Wetters wegen nicht gekommen, einige saßen auf der Ofenbank und schoben den kalten Rücken gegen die warmen Kacheln. Als aber die Gesellschaft warm geworden war, fing der Kaspar an, auf seiner Mundharmonika kleine Tanzweisen zu spielen und bald drehten sich die ersten Paare im Reigen. Als Elsa die Wolle abgehaspelt hatte, tanzte sich natürlich auch mit. Es war noch lange Zeit bis 11 Uhr. Wie schön das war: der Walzer, der Schottisch, der wilde Dreher! Es war ihr gerade so, als ob der heutige Tanz der schönste seit langer Zeit wäre. Verstohlen schaute sie nach der Uhr. Noch ein paar Minuten! Noch ein paar Minuten! Als aber der Zeiger sich der elften Stunde näherte, riss sie sich los, legte den Umhang um und band das Kopftuch fest. Dann sagte sie allen eine Gute Nacht, nahm Wafn und Wollbeutel und verließ das Haus. Was schadete es, dass der Wind mittlerweile zum Sturm geworden, der Regen ihr ins Gesicht peitschte. Sie würde schon den Weg finden und wie alle Nächte pünktlich und wohlbehalten nach Hause kommen. Als sie gerade um die Kirche bog, fing die kleine Glocke an zu schlagen: eins, zwei, drei, vier... "0", schon elf Uhr? Dann schlug die große Glocke die Stunden. Leise zählte sie mit: eins, zwei elf, zwölf! Um Gottes willen! Mitternacht! War das möglich? Nun aber schnell, so schnell dich die Beine tragen. Wenn der strenge Dienstherr das merkt! Dann ist es aus mit der Lichtstube, aus mit dem Dienst, aus mit der Heirat! Aus, aus, aus", heulte der Wind. "Aus, aus, aus", peitschte der Regen. Wie war doch die Nacht heute finster. Kaum fand sie sich durch die letzten Häuser.

Nun ein wenig bergauf Der Weg war zum Bach geworden, so schoss das Wasser daher. Nur immer zu! Jetzt muss der Wald bald kommen. Ich sehe doch keine Bäume. Ja richtig, das große Loch im Feldweg fehlt ja noch. Es kommt ja gar nicht. Ich werde doch nicht den Weg nach links gegangen sein? Nur nicht aufhalten! Schneller, noch schneller musst du laufen." Aus, aus, aus", heulte der Wind jetzt noch lauter. 0, diese Angst! "Der Dienstherr, der Dienstherr", peitschte der Regen. Jetzt stolpert sie über einen Stein, fällt in ein Wasserloch, rafft sich auf und rennt weiter. Jetzt stolpert sie über eine Wurzel, die Wafn entgleitet der klammen Hand und der Wollbeutel fehlt. Auf den Knien rutscht sie hin und her, tastet mit den Händen den schmierigen Boden ab. Nichts ist zu finden. Da wird die Angst noch größer. Der Kopf wird heiß, aber die Kälte kriecht von den Füßen die Beine hoch. Die Hände sind so klamm, dass sie kaum noch das Kopftuch halten kann, das der Sturm immer herunterreißen will. Der Umhang ist auch nicht mehr da. Die Nässe hat längst das Kleid durchweicht und Rücken und Schulter werden kalt. Die Kälte schüttelt den ganzen Körper, nur der Kopf brennt vor lauter Angst. Weiter schleift sich die Elsa. Als sie wieder stolpert, kann sie nicht mehr aufstehen, sie hat keine Kraft mehr. "Mutter, Mutter", haucht sie noch einmal, dann nimmt sie der Tod in seine grausamen kalten Arme.

In Sorghof heulte auch der Wind und peitschte der Regen. Selbst das Vieh im Stall wurde unruhig und riss an den Ketten. Da stand der Bauer auf und ging in den Stall. Als er, mit der alten Sturmlaterne in der Hand, über den Flur schlurfte, fiel ihm auf, dass die Wafn nicht an ihrem gewohnten Platz stand. Er sah nach der Uhr. Drei Uhr in der Frühe zeigte sie an. Und Elsa ist noch nicht zu Hause? Das war ihm so ungewöhnlich, dass er gleich in die Kammer zurückging, die Bäuerin weckte. "Die wird wohl bei diesem Sturm in Watzendorf geblieben sein", meinte die gute Alte, ich hätte sie in diesem Wetter auch nicht nach Hause gelassen". Das beruhigte den besorgten Dienstherrn. Er ging in den Stall, redete dem Vieh gut zu und legte sich wieder zu Bett. Am nächsten Morgen fütterte der Bauer selbst das Vieh und die Bäuerin melkte die Kühe. Schweigend setzten sie sich an den Tisch und bringen nur mit Mühe die Hafergrütze hinunter. Unruhig geht der Bauer durch Stall und Scheune, mit zitternden Händen spült die Bäuerin das Geschirr. Unglücksdrohend peitscht der Regen auf Dach und Haus, rüttelt der Wind an Türen und Fenstern. Da hält es den Dienstherrn nicht mehr zu Hause.

Als er am Kreuzweg links nach Watzendorf abbiegen will, sieht er neben dem Weg die Elsa liegen, steif, still und tot. Er faltet die Hände, betet ein Vaterunser und nimmt das Mädchen auf den Arm wie sein eigenes Kind und trägt es heim. Als man sie in Watzendorf zu Grub trug, folgten viele Leute den Sarg und das junge Volk trug viele Kränze herbei zu Ehren von Elsa.

Der Bauer hatte aber keine ruhige Stunde mehr. Er fühlte sich schuldig am Tod seiner Magd, die nur aus Angst vor seiner Strenge in diesem Sturm nach Hause geflüchtet war. Er ließ sechs Seelenmessen lesen, gab den gebeugten Eltern eine große Summe Geld und stiftete alljährlich zum Dreikönigstag eine Kerze am Altar. An dem Kreuzweg aber, an der Stelle, wo er die tote Elsa gefunden hatte, ließ er einen Sühnestein aufrichten zum Gedächtnis seiner treuen Magd. Der Stein wird heute noch die "Spinnera" genannt.

Quellenhinweis: Andreas Stubenrauch

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