Text: Armin Oppel
Fotos und Repros: Ulrich Göpfert
Heinz Oppel
An dieser Stelle meinen herzlichen Dank an seinen Sohn Heinz Oppel aus Tremersdorf, der mir die umfangreichen Unterlagen seines Vaters zur Verfügung gestellt hat.
Gruß aus Tremersdorf
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Im Juni 1911 hat mich der Klapperstorch in das Haus Nr. 11 in Tremersdorf gebracht und dort warf er mich in den kohlrabenschwarzen Schornstein. So wurden wir Kinder früher von unseren Eltern aufgeklärt.
Als Kleinkind hat man viele Erinnerungen gesammelt, an die man sich im Alter noch gerne erinnert: Auf dem Sockel vom Fachwerkgebäude an der Bushaltestelle bin ich noch gelaufen. Ich sah noch Petroleum-Lampen im Haus. Aber schon 1914/15 wurde das elektrische Licht installiert. Die Gemeinde bekam zur Auflage eine gewisse Anzahl an Bäumen mit besonderer Stärke und Länge für das gesamte Ortsnetz zu fällen. Nach dem Aufrichten der Masten wurde unser Dorf vom Überlandwerk Coburg mit Licht und Kraftstrom beliefert.
Wir Kinder schliefen im bundbemalten Himmelbett auf Strohsäcken. Erinnern kann ich mich an die lieben, süßen Engelein an unserer Seite. Sie haben uns stets bewacht. Sie hielten alle eine goldene Trompete in der Hand und über uns war der schöne, blaue Sternenhimmel. Dieses wertvolle Prunkstück und dazu noch ein Spinnrad wurden später von unseren Eltern als Feuerholz verwendet.
Zu einer bestimmten Jahreszeit kauften unsere Eltern von einem Händler mit Pferdefuhrwerk mehrere Gänse, die zum 1. Mal zur Kirchweih flügge wurden und die Federn der Gänse für unsere Betten Verwendung fanden.
Von 1914 bis 1918 tobte der 1. Weltkrieg. Unser Vater und der Onkel wurden einberufen. Die Weihers Brücke musste während des Krieges laufend von zwei Posten wegen Sabotage bewacht werden. Züge mit Verwundeten fuhren von Coburg Richtung Eisfeld oben vorbei. Sie waren mit großen Rot Kreuz-Schildern auf und an den Wagenseiten gekennzeichnet.
Tiefflieger flogen oft Richtung Ohrdruf über unser Haus. Wir Schulkinder (ich war im ersten Schuljahr) mussten mit unseren Lehrern in die Wälder und strippten von Eichenstauden viel Laub auf die Leiterwagen für Futter der Kriegspferde. Kriegsanleihe wurde gezeichnet und „Sedansfeiern“ sind veranstaltet worden.
Nach jedem Krieg kommt anderes Geld. Diese Inflation brachte es zu Scheinen mit einer Million und sogar einer Billion Reichsmark. Dann kam die Deutsche Reichsmark in Umlauf. Die Deutsche Reichsbahn transportierte Schienen und Schwellen für das 2. Bahngleis auf dem Bahnkörper heran. Jedoch durften wir Deutsche nach dem Versailler Vertrag das 2. Bahngleis nicht bauen und alle Schienenteile mussten schnellstens wieder zurückgebaut werden.
In den 1850er Jahren (so erzählten unsere Vorfahren) war unser Haus Nr. 11 das hiesige Wirtshaus. Im Anbau vor dem Haus befand sich eine Kegelbahn und der Keller vor der Werkstatt an welchen je rechts und links am Eingang ein Lindenbaum stand, war der Bierkeller, der immer für frisches Bier garantierte.
Im Bahnhaus oben rechts an der Brücke wohnten Experten und Bahnmeister während der Zeit des Brückenbaues. Die Arbeiter feierten oftmals Festgelage, betranken sich, zerschlugen viele Biergläser und verunreinigten die Räume. Aus diesem Grund hörten unsere Vorfahren mit dem Gasthaus auf. Später eröffnete im Haus Nr. 7 eine Gastwirtschaft mit Tanzsaal, auf dem wir Kinder oft herumtollten. Das große Fachwerk-Gasthaus wurde noch rechtzeitig bis Kriegsbeginn fertig. Unsere Vorfahren erledigten mit Gespannleistungen beim Transport von Baumaterialien hierzu viel Nachbarschaftshilfe. Die Wirtin war die Schwester unseres Vaters, aber leider ist sie viel zu früh verstorben.
Gastwirtschaft Eisenhammer, Tremersdorf - Mitglieder des Vereins "Axt im Walde"
beim Aufstellen des Maibaumes. Die Gastwirtschaft wurde im Jahr 1914, vor
100 Jahren erbaut.
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Die Beschriftung „Gastwirtschaft zum Eisenhammer“ hat ein italienischer Kriegsgefangener Namens Otzioni an der Längsseite angebracht.
Wir Kinder bauten öfters mehrere Wasserräder und fuhren häufig mit kleinen Wagen auf der B4 von oben runter nach Tremersdorf. Das konnten wir solange noch keine Autos fuhren. Wenig später aber, konnten wir schon die abgerundeten Hanomag und Dixi mit Speichenfelgen bewundern.
Von der Maul- und Klauenseuche wurden wir während meiner Kindheit zwei Mal sehr hart betroffen. Alle Rinder bekamen sehr hohes Fieber mit großen Blasen an den Mäulern und die Hornschuhe lösten sich von den Füßen. Die Tiere litten unter starken Schmerzen. Erst in den folgenden Jahren konnte der Impfstoff gegen diese Seuche angewandt werden. Wo gleichzeitig im Stall noch Pferde einstanden, war der Schaden gering. Uns sind jedoch mehrere Rinder verendet und die meisten haben noch lange Wunden behalten. Der gesamte Viehbestand war in Mitleidenschaft gezogen. Die verendeten Tiere haben die Bauern in das Brandholz befördert und dort eingegraben. Ein Maschendrahtzaun diente als Umzäunung. Diesen Tierfriehof nannte man „Fallanger“ er befand sich oberhalb der kleinen Brücke, oben links. Aber nach einiger Zeit holte von Bamberg ein Abdeckauto alle Kadaver ab.
Durch Kurzschluss brannte 1921 die Mühlscheune ab. Beim Wiederaufbau musste der Besitzer 1 m von der Straße fernbleiben. In den viel späteren Jahren sind Rüdenburgs Scheunen zweimal abgebrannt.
Ab dem 6. Schuljahr mähte ich schon flott mit eigener Sense und jeden Abend habe ich drei Kühe gemolken.
Tremersdorfer Kinder
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Zur Schule nach Rottenbach gingen wir Tremersdorfer Kinder zu Fuß - acht Jahre hin und zurück. Außerdem waren noch zusätzlich die Fortbildungsschule, Kirchgänge, Beerdigungen und die Grabpflege in Rottenbach zu Fuß zu erledigen. Rechnet man 230 Schultage jährlich, bei 5 km Entfernung, ergibt dies eine Strecke von mehr als 9.200 km, die zu bewältigen war.
Meine Konfirmation feierte ich mit meinen Angehörigen Ostern 1925. Die ersten Radios waren 1926 schon ganz spärlich zu hören, denn diese moderne Errungenschaft war für die Bürger eine große Sensation. Durch Funkenflug einer Lokomotive brannte gegen Ende April 1926 vom „Achtgüterholz“ ein größeres Waldstück ab. Der obere Weihers Grund wurde vom Kulturbauamt Bamberg 1927 trainiert. Ohne den Einsatz von Baggern sind alle Gräben mit Schaufel, Spaten und Pickel ausgeführt worden. Außerdem wurden bei den Überfahrten große Zementrohre eingelegt.
Die Frühjahrsaussaat dauerte reichliche drei Wochen, weil wir 15 kleine Felder hatten. Die Felder sind mit der Ackerschleife abgestrichen worden, damit der von zwei Pferden gezogene Kultivator gleichmäßig tief in den Boden eindringen konnte. Die Kühe sind jedes Frühjahr zur Saatzeit mit Eisen beschlagen worden. Eine zweiteilige Egge mussten die Kühe ziehen.
Wir hatten mit dem Nachbarn Lindner gemeinsam eine Drillmaschine mit 1,5 m Breite. Alle Drillmaschinen benötigten drei Besatzungsmitglieder. Einen Führer für das Pferd einen Steuermann und einen Streifenmann. Die Frauen haben während der Frühjahrsaussaat auf den Feldern die Steine abgelesen, dabei haben auch Frauen aus Neukirchen teilgenommen. Der Dorfschulz (Bürgermeister) steckte am Bergweg und auch am Weihersweg Pfähle mit Nummern hin, an denen die Bauern an ihren zugeteilten Pfählen für 3 Mark pro Fuhre ihre Steine ablagerten. Im Spätherbst sind bei Gemeindearbeiten die Steine auf den Wegen in die Schlaglöcher verteilt worden, außerdem wurden die Wassergräben gereinigt.
Viele Jahre im Herbst sind mein Schulkamerad und ich mit dem Handwagen nach Steudach bei Eisfeld gelaufen und holten dort Weißkrautköpfe. Diese haben wir mit dem Krauthobel in die bereitgestellten Zuber gehobelt. Auf drei Schüsseln Kraut wurde immer ein Handvoll Salz zugegeben. Die Füllung wurde sehr fest eingestampft, oben mit Krautblättern und einen passenden Deckel abgeschlossen. Als Druckmittel wurde ein großer Stein aufgelegt. Nach einigen Tagen wurde der entstandene Sickersaft abgeschöpft. So entstand ein ganz vorzügliches Sauerkraut.
In den Bauernstuben standen früher Kachelöfen. Wir hatten einen großen, grünen mit einer Doppelkachel vom Schloss Neuschwanstein. Die Fußböden bestanden aus sehr breiten Dielenbrettern ohne Teppiche und Läufer, denn es gab zu dieser Zeit noch keine Staubsauger. Viele Bauern hatten in der Stube ein Klavier. Wir hatten einen 3-Bein Flügel. Ein sehr schwerer „Brocken“, den meine Schwester Meta durch ihre frühzeitige Verheiratung mit nach Truckendorf bekam.
Vom Viehbestand angesteckt hatte ich an beiden Händen viele Warzen. Ich schämte mich dafür und versteckte immer meine Hände. Ich ging auch zum Arzt, der meinte, die Warzen gibt man am besten einem Toten mit (alles umsonst). In Drogerien kaufte ich mir (als Verwendungszweck hatte ich angegeben, ich wolle Bodenuntersuchungen machen) Schwefel- und Salpetersäure in den Totenkopfgläsern – „aber alles war für die Katz.“ Meine Warzen vermehrten und vergrößerten sich so gemein, dass ich auch im Sommer am liebsten Handschuhe getragen hätte. Nur durch Zufall hat mir „Jemand“ ein Wunder verraten. Daran sollte ich mit Leib und Seele felsenfest glauben, sonst sei alles umsonst. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass diese Angaben stimmten. Aber ich folgte den Anweisungen und zählte meine Warzen, es waren 33 Stück. Nachts um 12:00 Uhr stieg ich mit der Leiter auf den Schornstein und machte dort 33 Kreidestriche hinein. Dieser Augenblick war für mich wirklich haarsträubend, als hätte mich der Teufel in der Gewalt. Ich sprach alle mir vom „Jemand“ aufgetragenen Worte dabei, die ich aber an dieser Stelle nicht veröffentlichen möchte. Es gab und gibt doch noch Wunder, denn in fast zwei Wochen waren meine sämtlichen, hässlichen Warzen für immer verschwunden
Viele Jugendliche sind abenteuerlustig, so auch ich, indem ich mich zum 17. Reiterregiment nach Bamberg meldete. Bald darauf bekam ich vom dortigen Kommandeur ein Schreiben mit Dank für meine Bewerbung. Er teilte mir mit, dass zurzeit das Truppenteil voll besetzt ist, ich solle mich etwas später noch einmal melden. Gott sei Dank habe ich es nicht getan.
Schneereiche, kalte Winter hatten wir früher immer und der Schnee blieb lange bis zum späten Frühjahr liegen. Bedingt durch hohe Schneewehen blieb zwischen Dörfles und Oberlauter ein Zug der Werratalbahn stecken.
Lichtstube
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Die Dorfjugend vergnügte sich an den langen Winterabenden bei Lichtstuben und bei gutem Zusammenhalt jede Woche in einem anderen Bauernhaus. In Tremersdorf machte die Dorfjugend in der Lichtstube aus Übermut viel Gaudi, „wobei ein Stuhl das Bein gebrochen hat“. Dr. Tröger vom Landkrankenhaus in Eisfeld wurde angerufen – bitte sofort kommen, jemand hat sich das Bein gebrochen. Der Arzt kam, schaute sich den sonderbaren Patienten sehr verstimmt an, legte das Stuhlbein in Gips und präsentierte der Dorfjugend eine hohe Rechnung.
An Sonntagen hat die Dorfjugend im Winter bei schönem Wetter oft Schlittenpartien unternommen. Die Pferde sind mit ihren Sonntagsgeschirren eingekleidet worden, es waren Kummet- und Brustgeschirre. An diesen wurden Glockengeläute, Rollgurte und Federbüsche mit vielen bunten Farben angebracht. Wärmflaschen und Fuchspelze schützen die holde Weiblichkeit vor Kälte während der Schlittenfahrten.
Zürdelsocken
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Die Männer waren viel mit Waldarbeiten beschäftigt, so auch mit stricken von Sockensohlen, machten Birkenbesen und erneuerten die Rechen. Die Frauen strickten Strümpfe, Zürdelsocken und Handschuhe. Auf Spinnrädern haben sie Wolle gesponnen und in die Nachbarschaften Wollsocken getragen, wenn sie zum Federschleißen wochenlang von Haus zu Haus gingen. Bei dieser Schleißerei konnten sich alle „Federdamen“ richtig ausplaudern. Alle Arbeiten sind im Winter in der Stube beim warmen Kachelofen geleistet worden.
Weil früher sehr wenig Industrie vorhanden war, mussten die jungen Erwachsenen von Eisenbahnern, Schuster, Schneider, Leineweber und Scherenschleifer zu den Bauern ziehen, es waren Dienstboten, man nannte sie Knechte und Mägde. Die gute vitaminreiche Bauernkost und viel Bewegung wie hacken, gabeln, rechen, mähen, melken und bücken sorgten für reichlich Gymnastik.
Zigeuner zogen karawanenweise durch unser Dorf. Jeder Haushalt schloss sofort alle Türe, weil die Zigeuner mit betteln sehr aufdringlich waren und in unbeobachteten Augenblicken schnell manches mitnahmen. Weiter zogen Wandervögel mit Gitarren und Gesang durch unser Dorf, so auch Scherenschleifer, Bettfedern-Reinigungswagen, aufdringliche Teppichhändler, Bettler und Christbaumschmuck-Hausierer. Schäfer mit großen Herden von Schweinfurt kommend zogen öfters im Frühjahr durch Tremersdorf.
Unsere Alten haben früher jeden Samstag im Winter, Heu, Grummet, Hafer- und Gerstenstroh auf der großen Futterschneidemaschine verarbeitet und in großen Körben in die Ställe transportiert. Dort wurde das Futter in die Krippenschalen verbracht. Jeden Sonntagfrüh hieß es alle Rinder abstriegeln und jeden 2. Sonntag bekamen alle Haustiere und Pferde eine Mischung von Getreideschrot, Heublumen, Futterkalk, Salz und Wermut, den wir selbst alle Jahre in unserem Garten erzeugten. Auch die Pferdegeschirre sind alle drei Wochen mit gutem Fett kräftig eingerieben worden. Außerdem wurden die Hufe öfters mit Spezialfett bestrichen.
Kirche Rottenbach
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Jeden zweiten Sonntag war in Rottenbach Gottesdienst, an dem jeweils abwechselnd ein Familienmitglied teilnehmen musste.
Bei abwechselnden Bullen- oder Rinderschlachtungen im Winter sind innerhalb der bäuerlichen Dorfgemeinschaft je Haushalt ein Liter Blut in alter Tradition ausgetragen worden. Dieses Blut füllte dann die Hausfrau in eine Pfanne, gab Milch nach Bedarf hinzu, auch Semmel-Zutaten, reichlich Zwiebeln, etwas Pfeffer, Salz und Zimt. Danach wurde alles gut durchgebacken.
Unser ehemaliger Backofen im Hintergrund
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Im eigenen Backofen hat unsere Mutter 17 Brote gebacken, die gut zwei Wochen ausreichten. Auf Weihnachten kamen Christstollen, meist 8 bis 10 an der Zahl hinzu. Früher waren in den meisten Bauernhöfen 7 bis 10 Personen tätig, weil alle anfallenden Arbeiten mit Geräten abgeleistet werden mussten, im Vergleich zur heutigen Zeit schaffen mit Maschinen drei Personen noch viel größere Flächen zu bearbeiten. Die zwei Waldgemeinschaften sägten ihre Bäume alle über 80 cm ab und nach der Frühjahrsausaat sind die nummerierten Baumstöcke ausgegraben worden. Das Nutzholz kaufte jahrelang der Sägewerksbesitzer in Tremersdorf. Der Verkauf fand nach alter Tradition immer im Wirtshaus, bei bester Stimmung, statt. Im Gemeindewald sind große Eichen mit der Vier-Mann-Ziehsäge gefällt worden, an Nutzholzenden abgesägt und die Giebel sind meistbietend zum Verkauf angeboten worden. Die Firma Heinrich Welsch, Tremersdorf kaufte die Eichen, transportierte sie mit vorgespannten Kühen im Winter per Schlitten zu ihrem Sägewerk. Das Schnittholz wurde in den freitragenden Schuppen am Flurweg nach Neukirchen auf der Schemas-Wiese gut und trocken gelagert. Die Firma baute in ihrer Werkstatt auch Windfegen und Butterfässer vom gesunden Eichenholz. Ein Schreiner und sechs bis sieben Lehrlinge waren dort beschäftigt. Nach Jahren übernahm Herr Lindner die Firma.
Coburger Fuchsschafe
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Unser Großvater erzählt uns, dass in jedem Hof Schafe vorhanden waren. Jeder Schafhalter hat seine Tiere besonders gekennzeichnet, denn ein Schäfer hat alle Schafe zusammen auf den sogenannten Schaftriten auf dem Berg geweitet. Für die gesamte Schafherde war eine große geeignete „Hürde“ (Pferch) vorhanden, in der alle Schafe in der Nacht untergebracht waren. Der Ausdruck: „die Schafe pferchen“ ist davon abgeleitet. Der Schäfer hatte einen Einachswagen mit Bett, Tisch und Stuhl und einen Wachhund als treuen Begleiter.
Früher übten unsere „Alten“ die eigene Jagd aus. Großvater hatte dazu einen gutabgerichteten Jagdhund mit dem Namen „Flora“, den wir Kinder oft streichelten. Wenn Großvater im Beisein von uns Kindern eine Mütze trug und sagte: „Flora mir iss zu warm“, sprang Flora den Großvater an und holte ihm die Mütze vom Kopf, sehr zum Spaß von uns Kindern.
Familienfoto mit Jagdhund "Flora"
Repro: Ulrich Göpfert
Die Tremersdorfer Jagd betrug damals ca. 300 Hektar und war bei Verpachtungen stets begehrt. Wildschweine, Hirsche, Rehe, Fasanen, Birkhühner, Rebhühner und Dachse waren zu meiner Jugendzeit vorhanden. Bei jeder Treibjagd habe ich als Treiber mitgemacht. An Hasen wurden bei diesen Treibjagden 30 bis 40 Stück geschossen. In der inneren Jackentasche trugen die Jäger immer eine Schnapsflasche um sich zu erwärmen.
Im Mai hackten manche Bauern ihr Getreide mit der Hackmaschine, später kamen dann die Unkrautspritzen zum Einsatz. Auch im schönen Monat Mai zogen Lehrer mit ihren Schulkindern durch unser Dorf und sangen Maienlieder. Dazu erschallte der Ruf des Kuckucks aus den Wäldern. Naturfreunde aus der Gegend von Schalkau wanderten Sonntagsfrüh beizeiten durch Tremersdorf zum Weißbachs Grund und holten sich Maiglöckchen. Auf dem Heimweg machten sie Einkehr im Wirtshaus und unterhielten mit Ziehharmonika und Gesang die ganze Wirtshausgesellschaft. So wurde damals der Wonnemonat Mai gefeiert, was ich zur heutigen Zeit leider sehr vermisse.
Heuernte
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
In der Heuernte wurden neuerdings die Ladegatter auf die Leiterwagen aufgesetzt, was eine sehr große Hilfe war. Das gesamt Bergfutter bauten fleißige Hände auf die Böcke, dadurch wurde sehr blattweiches Futter erzeugt. Das hacken von Rüben und Kartoffeln haben alte Leute gemeinsam geleistet. Mit Pferdegespannen fuhren einige „Langenberger-Leute“ zu unseren Sandholz-Wäldern und pflückten Blaubeeren. Nun war schon das Getreide reif, deshalb mussten mit der Lasche alle Felder am Umfang angemäht werden, damit das Pferdegespann mit dem Ableger das Getreide mähen konnte. Wir mussten täglich mit der Sense für eine große Futterration des gesamten Viehbestands viel mähen.
Nach dem Ableger-Getreidemäher waren die Ableger trocken, bei guter Witterung ging nun die mühselige Arbeit los, mit Bändern alles Getreide zu Garben zu binden. Wir waren alle sehr froh, dass bald der Bindemäher uns von dieser lästigen, zeitraubenden Arbeit ablösen konnte. Fast am Ende der Getreideernte begann der 2. Wiesenschnitt, das Grummet. Nun konnte auch der Flachs gerupft werden und je eine Portion Handvoll, gesondert abgelegt, zusammen gebunden werden. In der Scheune an der sogenannten Riegelstange befanden sich 2 bis 3 geformte Eisenkämme, an denen die Flachspossen durchgezogen wurden, sodass sich die Leinsamenkörner vom Flachsstroh lösten. Die Körner sind dann nach guter Trocknung gedroschen worden. So hatten alle „Flachser“ den wertvollen Leinsamen gewonnen, der früher abgekocht für die Tierhaltung bei Krankheiten Verwendung fand.
Unterhalb vom Weihersweg waren früher kleine Teiche u.a. der Röstenteich, daneben die Röstenwiese. Das Flachsstroh hatten wir zu kleinen Garben zusammen gebunden in den Röstenteich mit Steinen belastet, dort 2 Wochen eingewässert und dann auf der Wiese getrocknet (getökelt).
Im Winter wurde das Flachsstroh mit der Breche bearbeitet. Durch „das Brechen“, so der Ausdruck, wurde das Holz im Stroh gesondert und der schöne weiche Flachs fand Verwendung für Seile, Stricke zum Gerüstbau und für Dichtungen an den Wasserleitungen wurde der Hanf dringend benötigt.
Kartoffelernte
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Nun wartete die Kartoffelernte auf uns. Nur ganz vereinzelnd gab es in meiner Kindheit Kartoffelroder, es waren Stock- oder Steckroder. Auch wir Kinder mussten nach der Schule mithelfen. Die Pferde waren während der gesamten Kartoffelernte mit dem Pflügen der Herbstfurche beschäftigt, die noch vor dem Wintereinbruch fertig sein sollte. Ganz früher gab es die Gespannpflüge, bei denen die Vorderwagen mit Holzspeichen und der Gründel aus Holz waren. Diese wurden später vom Eisenpflug mit Selbstführung abgelöst, solange bis der „Kipppflug“ gekauft werden konnte. Gegen Abend kam das Pferdegespann mit Leiterwagen zum Acker und holte die vollen Kartoffelsäcke ab. Bei schönen Wetter wurde viel Kartoffelkraut verbrannt. Wir Kinder legten extra Kartoffeln in das Feuer und konnten Bratkartoffeln essen. Das Feld wurde abgeeggt, gepflügt und mit Roggen gesät.
Die Rübenernte hat nun begonnen, auch mit Zuckerrüben, diese haben wir in den späteren Jahren angebaut. Sie wurden zum Bahnhof nach Tiefenlauter gebracht und per Bahn zur Zuckerfabrik nach Zeil am Main befördert. Ich hatte die Gelegenheit die Zuckerfabrik in Zeil einmal zu besuchen. Von vielen langanhaltenden Regenperioden zur Rübenerntezeit wurden wir sehr geplagt und es erfolgte die Einstellung des Rübenanbaus.
Dreschmaschine und Lokomobile
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Die Zeit des Dreschens stand bevor. Ich habe noch mit Stiftendreschern gedroschen, bei denen das Getreide längst in die Maschine eingeführt wurde. Alsbald konnten Breitdrescher eingebaut werden. Es gab auch Göbel, bei denen am Auslegebalken ein Zugtier eingespannt wurde und mittels Zahnrad eine lange Eisenwelle die erzeugte Kraft übertrug. Große Dreschwagen waren auch schon im Einsatz. Eisenbereifte Dampfer sind mit Holz und Kohle gefeuert worden, die mittels eines sehr breiten Leder-Treibriemens, die große Dreschgarnitur mit Kraft versorgte. Viel Schnaps und Wermutwein sind getrunken worden, um den geschluckten Staub hinunter zu spülen. Niemand konnte sich „aus dem Staub machen“, denn jeder hatte bei dieser Arbeit eine Funktion auszuführen. Danach wurde das Getreide in Säcken (mit 80 kg Gewicht) hinauf in die oberen Speicher der Scheune getragen. Diese Strapazen der körperlichen Arbeit machen sich jetzt im Alter sehr bemerkbar.
Nun freuten wir uns auf das Weihnachtfest. Wir Kinder sind mit Bekleidung beschenkt worden, die wir durch Wachstum dringend gebraucht haben. Unsere jüngeren Geschwister mussten getragene Bekleidung von uns auftragen und bekamen als Ausgleich noch Spielzeug geschenkt.
Hausschlachtung
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Vor Weihnachten haben wir alle Jahre ein Schwein und im Frühjahr wurden 2 weitere Schweine geschlachtet. Wir haben viel Wurst und Fleisch geräuchert und auch in Weckgläsern eingekocht, denn es gab damals noch keine Kühltruhen. Auch unsere Pferde bekamen ihr Weihnachtsgeschenk, das waren die Winter-Hufeisen. Bei jedem Hufbeschlag wurde ich mitgenommen und musste den Blasebalg ziehen.
1928 stürzte die Holzdecke im Viehstall ein und so mussten wir mit schweren Eisenträgern, Längsschienen neu bauen. In den beiden Winterhalbjahren 1929/30 besuchte ich in Coburg die Landwirtschaftsschule. Dabei hatte ich die Gelegenheit bei Reitlehrer Lotz an einem Reitlehrgang teilzunehmen.
Die Zahl an Arbeitslosen stieg von Jahr zu Jahr ganz rapide in die Höhe, bis Hitler an die Macht kam und den Nationalsozialismus brachte. Er beseitigte die Arbeitslosenzahlen durch Arbeitsdienst, Straßenbau von Autobahnen, Kasernen, Panzer, Flugzeuge, Kriegsschiffe und viel Rüstungsmaterial. Kampftruppen wie SA und SS hat er kriegerisch voll ausgebildet. Die „Deutsche Wirtschaft“ hatte Aufschwung – alle hatten Arbeit und Brot und bei den Ämtern stand außen an den Türen: Heil Hitler – Unser Gruß ist Heil Hitler. Er kam 1933 an die Macht, in Konzentrationslagern ließ er Juden und Andere umbringen. Mit Russland schloss er einen Nichtangriffspakt. So gingen der Trott und die Spannung weiter.
Mein Onkel und Pate in Rohrbach hatte keine Kinder und bat deshalb meinen Vater um einen seiner Söhne, den er auf seinen Bauernhof aufnehmen und adoptieren wollte. Keiner meiner Brüder wollte dorthin. Nach großer Überlegung habe ich den Mut dazu gefasst. Am 1. Januar 1936 zog ich nach Rohrbach und hielt bis zum 15. Februar 1939 durch. Täglich früh zum Kaffee gab es trockenes Brot. Das Haus und der Stall standen oben am Berg. Von der Scheune unten mussten sämtliche Futterrationen nach oben befördert werden. In dieser Zeit lernte ich meine zukünftige Frau kennen, die auch mit meinen Adoptiveltern nahe verwandt war. Durch verschiedene Umstände bedingt, kündigte ich bei meinem Onkel und verschwand.
Bereits am 20. Mai 1939 heiratete ich meine Verlobte, die auch mit nach Tremersdorf zog. Alles passte – wie die Faust aufs Auge! Da nun der Hof Nr. 9 infolge Erbengemeinschaft verkauft wurde, machten alle Bauern von den Grundstücken, die an ihre Felder und Wiesen gut passten, käuflichen Gebrauch. Der Preis pro/ha. lag bei 700 Reichsmark und war für uns sehr günstig. Meine Frau konnte gleich mit 3 ha Flächenkauf ihr Geld anlegen. Mein Bruder Artur und Frau kauften auch 3 ha. und den Hof mit Gebäuden.
Im Herbst 1939 fing Adolf Hitler mit allen friedlichen Nachbarländern Krieg an, so auch noch mit den Russen und erlitt eine furchtbare Niederlage. Der Engländer und der Amerikaner bombardierten pausenlos deutsche Städte und Industrieanlagen und trugen dazu bei, dass der schreckliche Krieg endlich am 6. Mai 1945 ruhte. Die Amerikaner besetzten Bayern und die Russen Thüringen.
Armin Oppel als Soldat
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Am 1. August 1941 wurde ich nach Zirndorf/Nürnberg zum Flak-Scheinwerfer-Regiment einberufen. Während meiner Ausbildung wurde ich als „guter Horcher“ ermittelt und nahm nach drei Monate in Baden bei Wien an einem „Horch-Lehrgang“ teil. Nach dem Lehrgang kam ich nach Mannheim-Käfertal zur Überbrückungs-Reserve. Bald darauf wurde ich in Guntersblum bei Worms eingesetzt und anschließend kam ich in die Tschechei nach Straßitz und Pilsen. Hier wurden wir mit Kaliber 10,5 zur Artillerie umgeformt und kamen im Westen kaum mehr zum Einsatz. Bald darauf hatte ich noch die Gelegenheit und konnte die Ausbildung für Führerschein Klasse 2 und 3 absolvieren.
Einige Wochen danach begann auch unsere Einheit den Rückzug. Von Schweinfurt kommend sahen wir am Straßenbaum einen Soldaten vom „Standgericht Helm“ erhängt. Im Lichtenfelser Forst blieben wir am Tag und hörten per Radio, dass der Ami schon in Meiningen eingedrungen war. Jetzt schaltete ich um, denn der Krieg war für mich bald zu Ende. Abends bei Dämmerung fuhren wir über Kronach nach Pößneck. In Kronach meldete ich mich von Wachtmeister Janus ab, der sagte: „Viel Glück Oppel, ich weiß von nichts“! Ein Kamerad aus Neustadt ging auch mit und gegen Morgen trafen wir im Wald bei Neundorf ein. Am Abend machten wir uns über Föritz zu meinen Schwiegereltern auf den Weg. Dort zogen wir vom Schwager Zivilkleidung an. Nachdem hier „dicke Luft“ für uns wurde, marschierten wir am 17. April nach Tremersdorf, obwohl das Kriegsende erst am 6. Mai 1945 war.
Entlassungspapier von Armin Oppel
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Mein Vater als alter Soldat sagte bei der Begrüßung wörtlich: „Armin ich sehe dich gern und auch nicht gern“. Ja, ich lebte auch hier noch gefährlich. Als wir in Kronach unsere Einheit verließen, waren wir noch voll ausgerüstet mit zwei vollen Patronentaschen Munition und auch der Karabiner war voll durchgeladen um uns evtl. gegen einen Angriff vom „Standgericht“ zu wehren. Mein Soldbuch hatte ich noch immer bei mir und so konnte ich es bei einer Überprüfung am 21. Juni vorzeigen. Mit einem Halbkettenfahrzeug brachten mich die Amis dann nach Coburg. Dort bekam ich mein Entlassungspapier per Fingerabdruck.
Unser Vater war im 1. Weltkrieg lange Soldat, kam nach 1 ½ Jahren in englische Kriegsgefangenschaft nach Ostwestry. Nach 1919 kehrte er in die Heimat zurück und brachte uns viel Kummer, denn er litt an Asthma. Die Medikamente zur Behandlung für diese Krankheit haben der Familie über Jahre viel Geld gekostet. Bei entsetzlichen Anfällen lief ihm der Schweiß herunter, es waren sehr starke Erstickungsanfälle. Deshalb hat mir der Arzt Dr. Tröger gezeigt und erlaubt unseren Vater selbst bei heftigen Anfällen sofort die Spritzen zu verabreichen. Er war in keiner Krankenkasse und reichte nun seine Rente ein. Von Amt zu Amt wanderte sein Antrag, jedoch ohne Erfolg. Dann bekam er vom Reichsgericht Leipzig alle seine Unterlagen zurück mit der Begründung: „hier sind durch Kriegseinwirkung keine körperlichen und schweren Verletzungen festzustellen“.
Der Dank des Vaterlandes ist Dir gewiss!
Vaters Krankheit verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Mutter und wir Kinder waren alle sehr beunruhigt und bestellten deshalb einen Notar ins Haus, damit mit Vaters Zustimmung die Hofübergabe stattfinden konnte. Im Juli 1946 verstarb der Vater an Erstickung und ein Jahr später 1947 folgte auch unsere Mutter. Viel zu früh mussten wir von den Eltern Abschied nehmen. Vater wurde 64 und Mutter 63 Jahre alt.
Die beiden Jahre waren sehr trocken, sodass in den Bergwäldern sämtliche Wachholderbüsche für immer ausblieben. Die Wiesen waren so braun, wie Rost. Weil das Futter für die Tierhaltung so knapp wurde, mussten auch Waldwege ausgemäht werden. Auch viele Fichten sind trocken geworden, weil sie Flachwurzler waren.
Unser Holzhaus bauten wir 1947. Die Währungsreform war in greifbarer Nähe. Niemand wollte noch für Reichsmark verkaufen. So versuchten alle Bürger zu kompensieren, als Ware gegen Ware. Auch ich habe Bretter gegen Ferkel getauscht. Und wie geahnt, kam im Juni 1948 die DM-Währung. Rottenbacher und Tremersdorfer konnten in Neukirchen in der Gastwirtschaft Raab pro Person je 40 DM „Kopfgeld“ in Empfang nehmen. – Aus Reichsmark wurde DM, aus Reichsbahn wurde die Deutsche Bundesbahn und aus Post, die Deutsche Bundespost.
Auf dem Bauernhof
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Am 24. August 1945 drang ein russischer Kommandant mit 5 Mann in Tremersdorf ein. Unsere Pferde wollten wir nach der Bindemäher-Arbeit in den Stall bringen, als die Russen uns aufforderten, beide Pferde mit Wagen Richtung Grenze zu bringen. Diese Russen brachten unsere beiden Pferde nach Korberoth zu Bauer Müller. Dessen Tochter hatte mit dem Kommandanten ein Verhältnis. Sie servierte ihm öfters Spanferkel und als Gegenleistung 1 zu
100 000 brachte der „Krüppel“ unsere beiden Pferde hin. Schuld an diesem Schicksal war mein Bruder Artur. Mit dem Bindemäher hätten wir noch 2x rumfahren müssen, dann wäre das große Weizenfeld fertig gewesen. Aber Artur war stur mit der Meinung, die Pferde haben heute genug gearbeitet. Ich drängte darauf den Acker fertig zu bearbeiten und dafür den Pferden heute reichlich Hafer zu füttern. Wir kamen heftig in Streit, Artur spannte die Pferde aus und als er zuhause ankam warteten schon die Russen auf ihre reiche Beute. Durch Nachforschungen erfuhren wir, dass unsere Pferde in Korberoth waren. Am 4. April 1946 holten wir von dort ein Pferd unter Lebensgefahr zurück. Das 2. Pferd hatte der Bauer Müller bereits an das Brauhaus Sonneberg verkauft. Pferdediebstahl- und Wagendiebstahl – fort ist fort und die Getreideernte war da. Beim Pferdehändler stand in der Zeitung war ein Transport Pferde eingetroffen, ich kaufte eines. Am Berg blieb er stehen und bekam keine Luft, weil es „dämpfig“ war. Der gesamte Transport war Ramsch.
Dieser Wachtturm stand am Ortsausgang
von Görsdorf
Repro 2014 © Ulrich Göpfert
Wenn wir Bauern von den Feldern Richtung Grenze Getreide holen wollten, mussten wir dort oben am Schilderhäuschen pro Fuhre Getreide eine Flasche Schnaps abgeben, weil die Russen in den bayerischen Sektoren eingedrungen waren. Der Russe besetzte Thüringen und daraus wurde die DDR (Deutsche Demokratische Republik) und nun konnte Staatsrat Erich Honecker seines Amtes walten. Er errichtete den gesamten „Eisernen Vorhang“. Breite Waldschneisen wurden abgeholzt, die Stöcke alle gesprengt, dazu gepflügt und geeggt. Wege mit Betonplatten für die Autos der Vopos gebaut, Wachtürme zur Beobachtung des „Klassenfeindes“ wurden errichtet. Minen verlegt und Wachhunde eingesetzt. Die Stasi (Staatssicherheitsdienst) trieb ihr gemeines Verbrechen an unschuldigen Menschen, die in die Zuchthäuser der DDR eingesperrt wurden.
Schienenabbau am Bahnhof in Görsdorf
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Die Verbindung nach drüben konnte nur am Grenzübergang Rottenbach per Bus aufrechterhalten werden. Die Bahn fuhr nicht mehr, weil bei Görsdorf die Schienen abgerissen wurden. Immer wieder konnte man hören, dass Minen explodierten. „Kalter Krieg“ im eigenen Land konnte man die Folgen der Hitler-Diktatur nennen.
An der Flurbereinigung von 1953 bis 1958 haben alle Tremersdorfer kräftig mitgeholfen. Das größte Projekt dabei war der lange, serpentinenmäßige Bergweg nach Mirsdorf. Nach Fertigstellung der Straße haben wir an die hinteren linken Wagenräder keine Hemmschuhe einlegen brauchen. Ein großer Fortschritt bei der Flurbereinigung war erreicht durch große Grundstücke.
Die Pferde gingen in Rente. An schweren Schleppern hängen schon 3m breite Drillmaschinen, 4 Schaar Drehpflüge, schwere, doppelte Eggengarnituren, Maishäcksler, Walzen, Unkrautspritzen, Heu- und Strohpressen und Kreissägen. Vom Landwirtschaftshandel Lindner, Tremersdorf kauften wir 1958 eine Alfa-Laval-Melkmaschine. Sie hat uns bei der Arbeit sehr geholfen. Melkmaschinen sind sehr rentabel, weil sie täglich 2mal eingesetzt werden.
Unwetterschäden in unseren Waldabteilungen
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Am 1. August 1958 kam über uns ein furchtbares Gewitter und richtete in unseren Wäldern riesigen Schaden an. So wurden zum ersten Mal Motorsägen gekauft, mit Ziehsägen war dieser Schadenholzmenge nicht beizukommen.
Axt im Walde – Das Muckelbrünnle wird u.a. von diesem Verein mit betreut
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Die Dorfjugend von Tremersdorf gründete 1953 den Kulturverein „Axt im Wald“.
Weihersmühle
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Im oberen Weihersgrund stand eine einsame alte Mühle, die Weihersmühle. In dieser Mühle wohnte ein älteres Ehepaar mit 2 Kühen, 2 Jungrindern, Hühner, Gänse und einen scharfen Hofhund. Sie waren friedlich und gesprächig und unterhielten sich als Grundstücknachbarn oft und gerne mit uns. Noch vor dem Totensonntag 1961 fuhr bei Dämmerung ein LKW mit Vopos bei der Mühle vor. In sehr kurzer Zeit musste das ältere Ehepaar einige Bekleidungsstück und Habseligkeiten auf den LKW laden. Dann wurden sie nach Saalfeld abtransportiert und dort untergebracht. Aus Ärger und großen Kummer sind sie dort sehr bald gestorben.
Weihermühle (kurz vor dem Abriss)
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Am Totensonntag 1961 rückten schwere Raupen an und schoben große Erdmassen über die Gebäude, bis zum „Nimmerwiedersehen“. Damit kein Raupenfahrer über die Grenze nach Bayern flüchten konnte, standen bewaffnete Vopos mit Gewehren im Anschlag an Ort und Stelle.
Die Gemeinden Tremersdorf und Rottenbach haben sich in den 1960er Jahren zusammengeschlossen. Bürgermeister Franz Meyer war sehr aktiv. Obwohl fast jeder Haushalt gutes Trinkwasser hatte, bekamen alle Tremersdorfer Ende 1960 am Wiesenweg entlang die Wasserversorgung von Rottenbach. Die Kosten pro Haushalt beliefen sich auf 1.000 DM. Oberhalb von Tremersdorf befindet sich ein Sammelbecken mit Druckminderung. Alle Bürger sind mit der Wasserqualität sehr zufrieden.
Durch die Gebietsreform sind Rottenbach und Tremersdorf am 01. Mai 1978 zu Lautertal gekommen. Der große Fuhrpark mit Baumaschinen der Großgemeinde Lautertal war für uns ein großer Vorteil, denn es wurden u.a. alle Wege und Wassergräben im oberen Lautertal mit betreut.
In den 1970iger Jahren sind alle Schienenteile der ehemaligen Werrabahn entfernt worden. Die Firma Hofmann aus Rodach kaufte den gesamten Bahnschotter, der Anfang der 1970er Jahre für die Wiederverwendung im Straßenbau eingesetzt wurde.
Eine große Ära ging 1972 zu Ende. Die hiesige Mühle hat für immer ihre Pforten geschlossen, nachdem der Müller an Mehlstaub erkrankte und bald darauf verstarb. In der Radstube der Mühle drehten sich zwei kräftige Wasserräder. Eines für die eigene Mühle, das andere für das Sägewerk. Dieses Wasserrad war jedoch nicht mehr betriebsbereit. Deshalb kamen der Besitzer und sein Bruder auf die Idee, statt Wasserrad-Neubau, einen Schacht zu bauen und den Sägewerk-Antrieb durch eine Turbine zu ersetzen. Das sandhaltige Wasser hatte jedoch bald die Turbinenblätter abgeschmirgelt und außerdem wurde so viel Wasser benötigt, dass die Sägewerker im Sommer öfters einen Stillstand hinnehmen mussten. Deshalb mussten Zimmerleute ein neues Wasserrad bauen und sorgfältig mit Winden in die Radstube befördern.
Kurz vor Weihnachten 1967 erlebte ich das größte Hochwasser in Tremersdorf. Der Boden war sehr stark gefroren, eine Schneedecke von 20 cm lag darauf. Plötzlich kam ein Gewitter mit wolkenbruchartigen Dauerregen. Im Nu standen unsere Schweine lange Zeit im eiskalten Wasser und schrien fürchterlich. Wir hatten viel Arbeit und mussten laufend mit Infrarot-Lampen unsere unterkühlten Schweine wieder gesund wärmen.
Görsdorf nach der Grenzöffnung
Foto: 2014 © Ulrich Göpfert
Am 9. November 1989 überraschte uns die Grenzöffnung nach 40jähriger Diktatur des DDR-Regimes. Das Grenztor in Eisfeld öffnete sich und jeder fuhr mit seinem Trabi rüber in den Westen. Auto an Auto drängten sich mit großem Getöse durch Tremersdorf und weiter ging es durch den Lautergrund Richtung Coburg. Kaum ein Jahr danach wurde in Görsdorf ein Durchgang in den Betonzaun geschlagen. Es war auch wieder ein großes Erlebnis an diesem Sonntag in Görsdorf. Eigentlich sollte ja einmal Görsdorf ganz verschwinden, dann aber wurde das gesamte Dorf mit einem 3m hohen, oben abgerundeten Betonzaun mit starkem Eisengewebe umgeben und auf der Anhöhe mit einem Beobachtungsturm versehen. Einen Teil des ehemaligen Betonzaunes ließ man als Mahnmal stehen.
Tremersdorf - im Hintergrund ist die Trasse der Werrabahn zu sehen.
Repro: 2014 Ulrich Göpfert
Nach der Grenzöffnung hat sich der Durchgangsverkehr auf der Bundesstraße 4 durch das Lautertal zu einer großen Plage für die Anlieger entwickelt. Mit vielen LKWs werden unzählige Massen an Baumaterial nach Thüringen zum Wiederaufbau transportiert. Durch diesen Verkehrsstrom ist bei den „Florschützens Wirtschaftsgebäuden“ ein totaler Engpass entstanden, der nicht länger bleiben konnte. Deshalb musste noch 1994 ein Teilabriss erfolgen. Auch das schöne einstöckige Fachwerkhaus fiel der Spitzhacke zum Opfer.
An unsere Maschinenhalle haben wir 1994 nochmals angebaut. Alle Böden in dieser Halle haben wir betoniert und vorher große Steinmassen abgetragen.
Von allen Tremersdorfer Bauern sind zwei Großbetriebe übrig geblieben. Flohrschützens haben ihre Kühe abgeschafft. Sie betreiben jetzt Hausschlachtungen mit Selbstvermarktung. Das Sägewerk hat sich mit Staplern und langarmigen, fahrbaren Greifern gut mechanisiert. Auch eine Autowerkstatt hat sich etabliert.
In den letzten Jahren hat sich vieles verändert, jedoch nicht immer zum Besseren. Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen eine friedliche, gesunde Zukunft.
Tremersdorf, im August 1995
Armin Oppel