Eine Erzählung aus dem Coburger Land
Ein Pferd wird mit einem Hufeisen beschlagen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Es war einmal ein Schäfer, der hütete seine Herde oben auf der „Hohwart“ bei Obersiemau. Abends fehlte eine Ziege. Der Hirte ging zurück und suchte und fand das verlorene Tier. Als er mit Hund und Ziege über den Cryanersberg wanderte, leuchteten schon die Sterne vom Himmel. Mit einem Mal fuhr eine helle Sternschnuppe vor dem Schäfer mit Gewalt ins Feld, dass die Schollen nur so prasselten. Wie sich der Hirte von seinem Schrecken erholt hatte, lief er hinzu und fand ein Hufeisen mit sechs Nägeln. Eisen und Nägel waren von purem Gold und glänzten wie Sonnenschein. Sogleich steckte der Hirte den Fund in seine Tasche. Zu Hause sagte er niemanden etwas von dem Fund.
Als der Hirte später einmal nach Coburg musste, nahm er einen goldenen Hufnagel mit. Als der Goldschmied den Goldnagel sah und dazu den Hirten in seinem armseligen Gewand, schüttelte er bedächtig den Kopf und sagte: „Der Nagel ist wohl aus gutem Gold. Du aber lügst, denn du hast ihn nicht gefunden, sondern gestohlen.“ Er rief den Stadtbüttel herbei und dieser band den Hirten an den Schandpfahl und gab ihm dreizehn Rutenstreiche, weil er den Diebstahl nicht gestehen wollte. Man behielt den goldenen Nagel in der Stadt und ließ den armen Hirten laufen. Zu Hause nahm er das Hufeisen, nagelte es mit den übrigen fünf Nägeln über seine Haustüre und strich es schwarz mit Kien, Ruß und Teer.
Einige Wochen später am Abend, kam ein Reiter auf milchweißem Ross von Birkach geritten. Ein langer, weißer Mantel reichte bis auf seine Füße. Unter dem Mantel trug der Reiter Harnisch und Schwert. Das Ross aber lahmte. Es fehlte an einem Fuß das Hufeisen. Beim Hirtenhaus wollte es nicht mehr weiter. Es drängte dem Eingang zu, vor dem der Hirte saß. Der begrüßte den Reiter demütig und forderte ihn auf, doch bei ihm zu nächtigen. Nach einigem Zögern willigte der Fremde ein, ließ sich von dem Hirten einen Imbiss reichen und nahm es mit Dank an, dass man seinem Pferd Futter und Stall gab. Als dem Ritter in der Hirtenstube aus Heu und Laub eine reinliche Lagerstatt bereitet war und es zur Ruhe gehen sollte, äußerte er sich besorgt, dass sein Schimmel wohl am anderen Tag nicht weiterlaufen könne, weil ihm ein Hufeisen fehlte. Ein neues könne er nicht kaufen. Er habe keinen Heller mehr in der Tasche. Das Wort blieb dem Hirten nachts im Sinn, und er beschloss, dem fremden Herrn zu helfen.
Landschaftsaufnahme in der Nähe von Obersiemau
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Bevor der Morgen graute, erhob er sich, löste das Hufeisen von der Haustüre und schlug es mit den goldenen Nägeln dem Schimmel auf, der es sich wohl gefallen ließ. Der Reiter merkte wohl, was der Hirte an seinem Pferd getan, sagte jedoch kein Wort. Als er im Sattel saß, reichte er dem Hirten die Hand und sagte: „Ich weiß wohl, du hast meinem Ross dein goldenes Hufeisen aufgeschlagen und mir damit einen großen Dienst erwiesen hast. Dafür darfst du dir in den drei Wochen, bis ich wiederkomme, dreierlei wünschen. Was du auch wünschst, soll sich erfüllen. Begehre aber nichts Unrechtes!“ „Habt Dank, edler Herr, und reist glücklich“, erwiderte demütig der Hirte. Da blickte der Reiter den Hirten ernst an und sagte mit klarer Stimme: „Wie Gott will“ und ritt davon.
Der Hirte zerbrach sich den Kopf, was er sich wünschen solle, kam aber zu keinem Entschluss. Wenige Tage darauf hütete er wieder das Vieh auf der Hohwart. Da zog am Nachmittag vom Staffelberg her ein schweres Gewitter. Es donnerte, blitzte und regnete in Strömen. Der Hirte wollte mit seiner Herde heim. Doch eine junge Ziege lief immer abseits und hielt den ganzen Eintrieb auf. Darüber wurde der Hirte zornig und schrie: „Ich wollte doch, dass dich das Donnerwetter erschlüge!“ Kaum war ihm der Schrei entfahren, da donnerte es und ein Blitz schlug die Ziege mausetot. Der Hirte merkte, dass einer der drei Wünsche in Erfüllung gegangen war und ärgerte sich.
Wieder einmal später kam er abends hungrig nach Hause. Die Frau hatte Linsensuppe gekocht. Die schmeckte ihm so vortrefflich, dass er sich wünschte: „Solch eine gute Suppe möchte ich alle Tage.“ Von der Stunde an wusste des Hirten Frau nichts anderes mehr zu kochen als Linsensuppe. Am sechsten Tag warf er die Linsen mit der Schüssel an die Wand. Er merkte, dass auch der zweite Wunsch in Erfüllung gegangen war. Er ärgerte sich so, dass er in ein hitziges Fieber verfiel.
Wie er krank im Bett lag, dachte er viel an den Reiter. Einmal erinnerte er sich auch des letzten Wortes, das der Reiter beim Abschied gesprochen hatte. Da war es ihm, als fiele eine Binde von seinen Augen. Er richtete sich im Bett auf und sagte mit lauter Stimme: „So wünsche ich mir denn zum Dritten alles so, wie Gott will!“ Zu Mittag hatte die Frau Hirsebrei gekocht. Der schmeckte ihm viel besser als die Linsensuppe und machte ihn vollends gesund.
Landschaftsaufnahme in der Nähe von Obersiemau
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Drei Wochen waren um, als es nachts an die Türe des Hirtenhauses stark klopfte. Der Hirte erwachte und lief hinaus. Draußen vor der Tür hielt der Reiter im weißen Mantel auf seinem Schimmel und entbot ihm freundlichen Gruß. Er reichte dem Hirten das goldene Hufeisen mit den fünf Nägeln und bedankte sich für die Aushilfe. Der Hirte weigerte sich das Hufeisen anzunehmen: „Was soll ich damit? Wenn ich es verkaufen will, hängen sie mich an den Galgen!“ Der Ritter erklärte: „Wir beide brauchen es nicht!“ Er nahm das Hufeisen und warf es hinüber in den Feuerteich. Mit lautem Platsch fiel es in das Wasser. Der Ritter sagte: „Weil du dir das Beste gewünscht hast und nichts weiter begehrst, so soll dir auch Gutes über Begehr werden: Gesundheit, Frohmut und langes Leben!“ Damit reichte er dem Hirten die Hand zum Abschied und ritt von dannen.
Es war eine klare Mondnacht. Im hellen Mondschein blinkten Ross und Reiter noch lange wie glänzendes Silber, bis sie den Blicken entschwanden. In Obersiemau hat man sie niemals wieder gesehen. Der Hirte ist bei guter Gesundheit und frischem Mut hundertelf Jahre alt geworden. Auf dem „Haag“ liegt er begraben. Das goldene Hufeisen mit den fünf goldenen Nägeln liegt noch im Feuerteich. Der Teich wurde inzwischen ganz mit Erde verfüllt. Ein fruchtbarer Gemüsegarten ist an seiner Stelle.
Quellenhinweis: Karl Mönch