„Wart` Berg, du sollst mir eine Burg werden“
Nach Ludwig Bechstein: „Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringer Landes“
„Wart` Berg, du sollst mir eine Burg werden“
Ein Fresko im Sängersaal der Wartburg von Moritz von Schwind, 1804-1871
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
Ein gar mächtiger Herr in Thüringen war Graf Ludwig, den das Volk den Springer nennt. Als dieser einstmals am Hange des Inselberges jagte, traf er auf ein Wild, das er eifrig verfolgte, immer weiter und weiter bis zu Flüsschen Hörsel und von dort weiter bis an den Berg, darauf jetzt die Wartburg steht. Dort blieb er und wollte warten, wo das Wild aus dem Walde lief, betrachtete derweil die schöne Gegend und vornehmlich den steilen Felsenberg, und dachte bei sich selbst und sagte: „Wart`, Berg, du sollst mir eine Burg werden!“ So mit großer Lust, auf den Berg zu bauen, trachtete er auf Mittel und Wege, es füglich zu beginnen, denn der Berg gehörte den Herren von Frankenstein, welche nahe dabei schon eine Burg besaßen, der Mittelstein (Metilstein) genannt, und dies war vor der Wartburg die beste Burg in Thüringen. Das Frankensteiner Stammschloss aber stand jenseits des Waldes, nicht weit von Salzungen, über der Werra.
Wartburg bei Eisenach
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Graf Ludwig hatte zwölf Ritter bei sich, tapfere, freie Männer. Mit denen beriet er sich heimlich, wie er den Berg wohl an sich bringen möchte, und es ward vereinbart, dass des Nachts vom Schauenberg, der dem Grafen zu eigen war, Erde in Körben auf den Wartberg getragen und dort verstreut werden sollte. Als das Geschehen war, schlug der Graf daselbst mit Gewalt eine Burgfriede (hölzernes Bollwerk) auf, dahinter er sich verteidigen konnte. Nun kamen die Herren vom Mittel- und Frankenstein, vermochten aber dem Grafen auf seiner Felsenfeste nichts anzuhaben. Deshalb verklagten sie ihn bei Kaiser und Reich, dass er sich das Ihrige mit Gewalt freventlich (frevelhaft) anmaße.
Auf des Reiches Befragen entgegnete der Graf, dass er die Burg auf seinem Grund und Boden gebaut, und er wolle sie auch nach Urteil und Recht, wie er hoffe, wohl behalten. Darauf erkannte das Reich, wenn er mit zwölf redlichen Männern beweisen und beschwören könne mit leiblichem Eid, dass das Land, darauf er gebaut, sein wäre, solle er es behalten. Da erkor (wählte) der Graf seine zwölf Ritter zu Eideshelfern, trat mit ihnen auf den Berg, sie steckten allesamt ihre Schwerter in die zuvor hinaufgetragene Erde und schwuren, dass ihr Herr, Graf Ludwig, auf dem Seinen stünde und schon vor alters (schon immer) dieser Boden, nämlich der hinaufgetragene, zum Land und zur Herrschaft Thüringen gehört habe. Damit behielt er den Berg.
Auf der Wartburg
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Es war aber dazumal im Thüringer Land, ja allerorten, große Hungersnot und großes Sterben, und durch den Burgbau erhielt das arme Volk sein Brot, um das allein es arbeitete. Der Graf ließ die Steine zum Bau im Seeberg bei Gotha brechen und herbeifahren, errichtete das Haus und Kemenaten sowie Türme, wollte sogar die Burg mit Kupfer decken und übergolden lassen; doch das Reich erhob Einspruch und so ließ er`s bei einem Bleidach bewenden.
Blick von der Wartburg auf die Stadt Eisenach
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Und als das Schloss gar köstlich gebaut war, baute der Graf auch die Ringmauer, darin das jetzige Eisenach liegt, denn zuvor war diese Stadt viel weiter von der Wartburg gelegen und war ein offener Fleck (unbefestigter kleiner Ort) am Sankt Petersberg, zwischen der Hörsel und der Nesse. Es musste zu diesem Mauerbau ein jedes Dorf im Thüringer Land helfen mit Fuhren und Handreichung (Arbeitseinsatz), und jedes ein Stück Mauer machen, von welcher verschiedenen Arbeit noch heute die Spuren ersichtlich sind. Also ward die Wartburg erbaut und das jetzige Eisenach begründet und mit Mauern umgeben.