Auszüge aus der Erzählung „Bergheimer Musikantengeschichten“
vom fränkischen Heimatdichter Heinrich Schaumberger
Kirchweih in Weißenbrunn vorm Wald
Die fränkischen Bauernburschen und die tanzlustigen Bauernmädchen
sind beim Plantanz in ihrem Element.
Illustration Rudolf Köselitz
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
„Werd' vernünftig, 's ist Zeit! rief die Eckenbäuerin. Du musst nun auf eigenen Füßen stehen, bei uns kannst nimmer bleiben, das Gütle erträgt den Schwarm Kinder nicht. Mit der Mühldorfer Rikelsbas hab' ich geredet, Du brauchst nur Ja zu sagen, so ist's fertig, und Du sitzest warm und sicher. Merks: eine Gelegenheit wie die Ev findest Du Dein Lebtag nicht wieder! Aber mach' was Du willst, Du freist für Dich, nicht für mich. Nur das sag' ich Dir: bettest Du Dich gut, schläfst Du gut! – Steht Dir jedoch die Ev' durchaus nicht an – such' Dir einen Herrn und werd' Knecht. Aus dem Haus musst Du auf alle Fälle, da beißt die Maus keinen Faden ab!“
Der Eckenpeter
Illustration Rudolf Köselitz
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
„Nur nicht grrrrrand getan!“ entgegnete der Eckenpeter, halb verwundert, halb verdrießlich, nahm bedächtig seine Trompete samt den Stimmbögen von der Wand, prüfte die Hosentasche, ob sie auch das Mundstück enthielt, und ging dann gemächlich seinen Kameraden nach, die vor dem untern Wirtshaus schon eine Weile auf ihn gewartet hatten.
Heda, was ist Dir über die Leber gelaufen?« fragte der Schneidersheiner im Gehen. »Du siehst ja aus, meiner Seel', die Milch fährt zusammen bei Deinem Anblick. – Warst doch sonst immer ganz glückselig, ging's zur Kirmes! – Was ist's, hat's daheim wieder Lärm gegeben? Die Weiber, die Weiber!« knurrte Peter, und schob seine Pelzmütze, die er auch im Sommer trug, vom rechten Ohr aufs linke. »Der Geier hol' sie mit'nander! Den Himmel hätte man auf der Welt, gäb's keine Schürzen mehr und Unterröck'. – Jetzt lass mich in Frieden! Damit wendete er sich ab und folgte langsam seinen Kameraden, die scherzend und lachend Mühldorf zueilten. Gern hätte er einem oder dem andern seine Not geklagt, um Trost und Rat gebeten: aber er kannte seine Schweden allzu gut, es gelüstete ihn ganz und gar nicht nach ihrem Spott und Hohn, lieber plagte er sich allein mit seinen schweren Gedanken.
Was sollte geschehen?
Das Wort der Mutter stand fest, daran war nicht zu rütteln – was nun tun? – Nur nicht grand getan! brummte Peter tiefsinnig. »Schaden kann's nicht, guck' ich mir die Bescherung gründlich in der Nähe an – ich habe ja immer noch meinen freien Willen! Nur nicht grand getan!
Unwillkürlich beschleunigten sich seine Schritte, er sah die Mühldorfer Planburschen mit dem Biergießer den Musikanten entgegenkommen – da durfte er natürlich nicht fehlen. Ein tiefer, endloser Zug aus dem Bierglas stellte seinen Gleichmut wieder her und richtete ihn mächtig auf. Noch ist Polen nicht verloren! Ist nicht der Himmel blau und lacht nicht die Sonne? Duften die Blumen in den Sträußen der Planbursche, rauschen die Seidenbänder weniger lustig denn früher? Wer wird verzagen, solange es noch Kirmsen gibt und Bier! – Keck saß die Mütze wieder auf einem Ohr, glückselig lächelnd leerte er ein Glas nach dem andern und beim Einzugsmarsch schmetterte seine Trompete, es war eine Lust.
Es war natürlich, dass Peter erklärte, er quartiere sich bei seinen Vetterleuten ein, und doch rief sein Entschluss großes Gelächter hervor, die Musikanten wie die Planbursche sahen ihn mit eigenen, zweideutigen Blicken an. Peter stieg das Blut zu Kopf, er wusste selbst nicht, warum er so ärgerlich ward. Zornig knurrte er: »Nur nicht grrrrrand getan!« und ging davon.
Rikelsrik, Ev und der Eckenpeter
Illustration Rudolf Köselitz
Repro: Archiv Ulrich Göpfert
Von den Rikelsleuten, d. h. von der Rikelsrik und Ev (der Samel zählte nicht mit), ward Peter mit großer Herrlichkeit aufgenommen; ja die Ev ward gleich so handgreiflich zutulich, dass er sie mit einem mürrischen: Nur nicht grrrrrand getan! von sich schob und sich sehr verdrießlich hinter den Tisch pflanzte. Die Geschichte war gefährlicher als er gedacht, ein ängstlicher Zweifel stieg in ihm auf, ob er in diesem Haus während dreier Tage seine Freiheit wohl werde bewahren können. Die Ev dagegen war ganz glückselig; das alte Mädchen hätte den schmucken Burschen wohl am liebsten gleich in den Himmel gehoben, wäre es gegangen; dafür stellte sie ihm ihren Ehehimmel wenigstens in desto gewissere Aussicht! Auch die Rik war wie umgewandelt, redete so aufrichtig, herzensfreundlich mit dem Vetter, wusste ihm so klug und geschickt, um den Bart zu gehen – der einsame Samel ärgerte sich in seiner Ecke fast schwarz über dieses ewige Geleck!
Trotz seines Kummers ließ sich Peter die Kartoffelklöße und den Schweinebraten wacker schmecken, verschmähte auch das Bierglas nicht, und in merklich besserer Laune ließ er sich nach Tisch von den Weibsleuten in Haus, Hof und Garten herumführen. Allmählig kam er in bedrängte Lage. Das schöne Haus, das prächtige Feldwesen zogen ihn mächtig an; als er durch Stall und Scheune schritt, lachte ihm das Herz über den gediegenen Wohlstand, der ihm entgegenleuchtete und der so gewaltig gegen die Armut daheim abstach. Wenn auch Peter heimlich den Kopf schüttelte, er war nun richtig Bräutigam und musste gute Miene zum bösen Spiele machen. Gar so schwer ward es ihm auch nicht, sich in seinen neuen Stand zu finden, empfand er es doch fast wie eine Erleichterung, dass sich seine Zukunft so rasch entschieden hatte. Groß war die Freude der Rikelsweiber, sie trugen Peter fast auf den Händen, nur der Samel, den Niemand beachtete, hockte mürrisch auf dem Hellstein und verachtete die ganze Welt. Sein einziger Trost war der, dass diese Herrlichkeit bald ein trauriges Ende nehmen werde.
Kirmeskrapfen
Foto: Archiv © Ulrich Göpfert
Der Samel hörte auf seinem Hellstein das Prasseln des Feuers, das Zischen der Butter; ahnungsvoll schlich er in die Küche und musste sich vor freudigem Schreck an die Wand lehnen. »Krapfen! – O du liebster Herrgott im hohen Himmel droben! Krapfen, meiner Seel', wahrhaftige, echte, rechte Krapfen! seufzte er. Mit feuchten Augen gab er nachträglich dem Paar seine Einwilligung zur Freierei, dann aber litt es ihn nicht mehr länger in der Stube. Ach, Krapfen waren ja für ihn der Inbegriff der höchsten irdischen Glückseligkeit, der höchste Genuss – und er hatte sie entbehren müssen seit seiner Hochzeit. Heimlich trug er seinen Kühen eine Handvoll des besten Klees zu und flüsterte ihnen schluchzend in die Ohren: Ihr Küh', ihr Küh', denkt an: morgen gibt's Krapfen!
Die Mühldorfer Mannsleute wollten auf den Köpfen stehen vor Verwunderung, als Heiner und Kasper berichteten, die Rikelsev habe eine ganze Mulde Krapfen ins offene Kammerfenster gestellt. »Entweder ist die Rikel übergeschnappt oder sie stirbt bald!« riefen Alle wie aus einem Mund. Die Krapfen machten größeres Aufsehen als selbst die Freierei. Zuletzt meinte ein Planbursch: Ich wollt', es käme' eine Katz' oder sonst was über die Krapfen, der Rikelsrik, dem Geizkragen, wär's zu gönnen. Hollahurreh, der Lärm! Ich glaube, sie stürmte ihr ganzes Haus! Dieser Wunsch erregte allgemeinen Beifall und ward viel belacht.
Trübsinnig schlich er nach dem Feierabend durch die taufrische Nacht dem Rikelshaus zu. Wie zufällig trafen ihn der Bergkasper und Schneidersheiner, hörten geduldig sein Lamento an und sprachen ihm Mut und Trost ein. Endlich machten sie ihm den Vorschlag, er solle zu guter Letzt noch einen richtigen Kirmesspaß mit ihnen ausführen. Peter wollte lange nichts davon hören; ihm sei's nicht wie spaßen! wehrte er ab. Zuletzt erwachte doch der alte Schalk in ihm und er sagte: Meinetwegen auch! Noch einmal will ich mittun! Ist's weiter nichts, vergess' ich doch eine Weile mein Elend! Der Schneidersheiner erklärte: da droben im offenen Kammerfenster stehe eine ganze Mulde Krapfen, er solle die bereitstehende Leiter hinaufklettern und sie heraushäkeln. Peter machte die Sache Spaß, er stieg zum oberen Stock empor, fand Fenster und auch glücklich die Mulde mit den Krapfen, die er vorsichtig mit einem Hakenstöckchen herausangelte und seinen Gesellen zuwarf.
Ihr unmäßiges Lachen schrieb er auf Rechnung des gelungenen Streiches, mit schwerem Herzen, tief seufzend schlich er ins Rikelshaus und auf seine Kammer.
Ein wilder Lärm, Heulen, Schreien, Fluchen und Schimpfen weckte ihn. Türen wurden auf- und zugeworfen, treppauf treppab ging es im Haus, und jetzt vernahm er deutlich, wie der Samel in der Nebenkammer jammerte: Ach du lieb's Herrgottle, die Krapfen, die Krapfen...