Das Abzeichen
Eine Kurzgeschichte von Joachim Kortner
Heute bekam ich wieder einmal Post von Joachim Kortner, der mir eine Kurzgeschichte übermittelte, die ich den Lesern nicht vorenthalten möchte.
Joachim Kortner bei einer Autorenlesung
Foto: 2012 © Ulrich Göpfert
Das hier ist auch ein Stück oberfränkische Zeitgeschichte
Als ich noch ein junger Lehrer in Königsfeld war brachte mir ein Schüler der 8. Klasse bei der gemeinsamen Reinigung des Flüsschens Aufseß ("Unser Dorf soll schöner werden!") dieses gefundene Abzeichen. Wegen des Hammer-und-Sichel-Symbols konnte ich es als Abzeichen der Roten Armee einordnen. Ich reinigte und fotografierte es.
Das Kommissarabzeichen
Foto: 2012 © Joachim Kortner
Mein Kollege Erich Arneth, der Schulleiter der Volksschule des Nachbardorfes Treunitz - später Rektor in Forchheim und "Fränkischer Frecker", - war ganz aufgeregt, als ich ihm das Abzeichen zeigte. "Ein Kommissarabzeichen! Mensch, dafür haben wir noch in der Kriegsgefangenschaft ein ganzes Brot hergegeben. Wir Idioten dachten damals allen Ernstes, dass wir bald von unseren Leuten befreit werden. Damit konnte man doch in der Heimat angeben, dass man einen Kommissar kaltgemacht hatte!"
Hitlers Befehl, politische Kommissare bei Gefangennahme umgehend zu ermorden, kam mir sofort ins Gedächtnis. Dieses Erlebnis hatte mich später zu der Kurzgeschichte "Das Abzeichen" inspiriert.
Das Abzeichen
Eine Kurzgeschichte von Joachim Kortner
Kommissar Michail Komarow spuckte mit kurzem Laut die Schalen eines Sonnenblumenkerns aus. Während seine Backenzähne den winzigen Kern zermahlten, entstand an seiner Schläfe ein kleines Loch mit einem Blutstrahl, der im tiefen Schnee versickerte.
Wäre Kommissar Michail Komarow noch am Leben gewesen, dann hätte er gesehen, wie der Mann mit dem geschwungenen Stahlhelm und der fremden Uniform seine Pistole in die Ledertasche schob. Er hätte auch sehen können, wie der Mörder ein glänzendes Abzeichen von Komarows Uniform abriss und es in die Manteltasche steckte. Dieses ganz besondere Abzeichen, das man nur tragen durfte, wenn man ein Kommissar war. Ein roter Stern über der aufgehenden Sonne und dem gekreuzten Symbol von Hammer und Sichel.
Aber es war alles ganz anders gekommen, als es sich der Mann mit dem geschwungenen Helm und der fremden Uniform gedacht hatte. Eine große Angst hatte sich über ihn und über die vielen anderen Männer gelegt, die in Michail Komarows Land eingefallen waren. Sie wollten wieder in das Land fliehen, aus dem sie gekommen waren.
Es war Frühling geworden. Kommissar Michail Komarow lag noch immer unter dem Schnee. Die Sonne hatte den Kopf freigetaut. Aus den glasharten Augen rannen Tropfen über sein Gesicht.
***
Unser Ort soll schöner werden! Über diese Aktion hatten sie mit ihrem Lehrer diskutiert. Einer, der die ganze Stunde keinen Ton gesagt hatte, rief rotzig dazwischen, dass der Bach hinter der Schule wohl „das Letzte“ sei. Einfach so, ohne sich zu Wort zu melden.
Noch am selben Nachmittag standen sie in Gummistiefeln im Bach hinter dem Schulhaus. Sie wateten im Faulschlamm, der unter ihren Stiefeln gasig blubberte und aufwolkte. Kinderwagenräder, eine rostige Fahrradgabel, Joghurtbecher, Flaschen verschiedenster Art und Größe flogen ans Ufer.
Mit einer Frage im Blick übergab ein Junge dem Lehrer seinen besonderen Fund, ein von Algen und Schlamm verklebtes, einer großen Münze ähnelndes Metallstück.
Die Lippen des Lehrers wurden schmal. Seine Hand umschloss den Fund. Er wolle das Ding genau untersuchen und ihm Bescheid geben, sagte er dem Jungen.