Die Spinnstuben in früherer Zeit

Die Spinnstuben in früherer Zeit
Hier traf sich die Landjugend zur Erholung und Kurzweil


Diese Zeichnung wurde um 1890 angefertigt (Künstler
unbekannt) und zeigt die Landjugend bei der Arbeit am
Spinnrad und bei allerlei Kurzweil in der Spinn- bzw Lichtstube
Repro: Ulrich Göpfert

In der Zeit der langen Abende in den Herbst- und Wintermonaten – die Landleute sagten, es sei die schönste Zeit des Jahres für sie – waren die Spinn- oder Rockenstuben der Treffpunkt der Landjugend zur Erholung und Kurzweil.


Diese Illustration stammt von Rudolf Köselitz, der die
Bücher unseres Heimatdichters Heinrich Schaumberger
illustriert hat. Die Szene zeigt wie lustig und gruselig es
beim Erzählen von Geschichten und Sagen nach getaner
Arbeit in der Spinnstube zuging
Repro: Ulrich Göpfert

Wenn es draußen langsam kalt und stürmisch wurde und die Dörfer sich äußerlich verlassen still zeigten, regte es sich in den Häusern immer mehr. Von Allerheiligen bis Mitte März hielt die Jugend ihre Spinnstuben, meist im "Dorfhaus“. Sobald es dunkel wurde, die Arbeiten im Haus und Stall verrichtet waren, legten die Mädchen ihren Sonntagsstaat an. Das schönste bestickte seidene Rockenband aus Großmutters Truhe wurde um den blühendweißen Flachsrocken geschlungen und das zierlich geschnitzte und sorgfältig bemalte Spinnrädchen eingepackt. "Auf ging`s zur Spinnstum“. Das Gesellige trat neben der Spinnarbeit besonders hervor. Es wurde unterhalten, es wurden Geschichten erzählt, Gesellschaftspiele veranstaltet, es wurde gesungen und getanzt.

War das Spinnen so zwischen 9 und 10 Uhr abends zu Ende, wobei während der Arbeit meist Gespräche um Ereignisse und die öffentliche Meinung des Dorfes geführt wurden, kam den hergebrachten Spielen in der Spinnstube nun besondere Bedeutung zu. Die Burschen kamen meist schon während der Spinnarbeit in die Spinnstube und machten sich durch mancherlei, oft übertriebene Neckereien bemerkbar. Wenn einer Spinnerin beim Treten des Rades ein Faden riß, so nahm ihr ein Bursche den Rockenkürsel ab, den sie durch einen Kuß wieder auslösen musste. Manche Burschen hingen die Treter am Spinnrad ab, versteckten sie, oft auch das ganze Spinnrad; dies geschah auch gerne auf dem nächtlichen Heimweg der Spinnstubenmädchen. Waren die Spinnstuben von Burschen und Mädchen getrennt, so schlichen sich die Burschen oft in das Haus der Mädchenspinnstube ein und holten sich die Hutzeln (Dörrobstschnitzel) und Kuchen, die zur Bewirtung hergerichtet waren. Wurden die Burschen dabei von den Mädchen erwischt, wurden sie mit Ruß geschwärzt. Hierher gehören noch andere Ungereimtheiten der Burschen, so das Ausheben der Fensterläden am Spinnstubenhaus, das Verwirren der im Hausflur von den Spinnstubenteilnehmerinnen hingestellten Holzschuhe und noch viel mehr anderer Unfug stand auf der Tagesordnung.

Es wurden in den Spinnstuben auch gesellige Spiele, vor allem Pfänderspiele durchgeführt, so Ölpumpen, Stockmeisterles, Schinkenklopfen, Nachbarspiel, Hansel, Speck, Blindekuh, Holleblind, Getreidespiel, Birnenverkauf, Namenspiel, Salzschneiden, Polnischbetteln..... Daneben waren Geschicklichkeitsproben und besonders die beliebten Kartenspiele sehr gefragt. Doch "Wehe dem Neuling, der an einem solchen Spiel teilnahm“! Einer, der das Spiel "Eulen aus dem Hause jagen“ noch nicht kannte, musste sich mit einem Sack zum Fangen der Eule an der Bodenstiege aufstellen. Nachdem man dort heimlich einen Eimer Wasser bereitgestellt hatte, begaben sich zwei andere Teilnehmer auf den Dachboden, um mit dem Ruf: "Hälla“, ksch, ksch“! die Eule aufzujagen. Ehe sich`s der Untenstehende versah, wurde ihm der Inhalt des Eimers auf den Kopf geschüttet.

Andere Gesellschaftspiele waren das allgemein bekannte "Schneider leih mir die Scher“ und das "Pantoffelrutschen“. Manchmal unternahm man auch einige lustige "Stückla“. So wurden die Pfeifen der Burschen mit Holzspänen verstopft oder man hing an die Tür altes Gerümpel, damit beim Aufmachen derselben recht viel Lärm entstand und der die Tür-Öffnende erschrocken zurückwich... Wenn der Uhrzeiger schon auf eine späte Stunde, etwa 11 Uhr nachts, vorgerückt war, war das "Tischrücken“ eine beliebte Unterhaltung. Alle Anwesenden setzten sich um einen Tisch, der keinen eisernen Nagel haben durfte. Ihre Hände legten sie auf den Tischrand. Nun wurde der Gedanke auf eine bestimmte Sache konzentriert, zum Beispiel auf eine Frage aus dem Leben eines Anwesenden. Die Frage wurde gestellt und der Tisch gab, so wird erzählt, durch Klopfen mit den Füßen Antwort. Ähnlich wie das "Tischrücken“ war das "Spinnstubenstühlchen gehen lassen“. Der Rocken ohne Rockenspindel wurde in der Stube aufgestellt und ein in der Mitte durchbohrter Holzteller darauf gegeben. Auf diesen legte man nun die Hände und es wurde die Frage gestellt. Der Rocken antwortete durch wackelige Bewegungen. Es mussten sich bei diesem Spiel wie beim "Tischrücken“ mindestens vier Personen beteiligen.

Natürlich kam auch der Tanz in der Spinnstube zu seinem Recht, und es wurde nach getaner Spinnarbeit mit Vorliebe das Tanzbein geschwungen. .....Jetzt ein Stimmengemurmel vor dem Fenster und Stiefelgeklapper auf dem Hof. Die Tür geht auf und mit einem "Grüß Gott“ treten die Burschen herein..... Unter Lachen und Scherzen wird schnell der Flachs zu Ende gesponnen. Dann sind die Rocken leer. Die Räder tun einen letzten Schnurrer. Hansjörg fingert seinen  "Fotzenhobel“ (Mundharmonika) aus dem Hosensack, die Spinnräder wandern in die Kammer hinaus. Jetzt wirbeln die Tanzpaare durch die Stube, bis den Mädchen der Schnaufer ausgeht....

Unter den Teilnehmern der Spinnstuben war meistens einer der Mundharmonika spielen konnte. Oft fand sich auch ein Ziehharmonikaspieler. Die Hausmusik wurde auf diese Art gepflegt. Es gab nur wenige öffentliche Tanzveranstaltungen, deshalb bot die Spinnstube eine gute Gelegenheit, die ersten Tanzschritte zu versuchen. Zu den öffentlichen Tanzveranstaltungen hatte übrigens nur Zutritt, wer schon 18 Jahre alt war. Wer es schon früher probierte, musste damit rechnen, vom Tanzboden verwiesen zu werden.

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Lichtstube im Coburger Land
Repro: Ulrich Göpfert

Eine besondere Bedeutung hatte die Spinnstubengeselligkeit für die Pflege der Überlieferung des Liedgutes. Immer wieder wird von Sammlern des 19. Jahrhunderts auf den hohen Wert der Spinnstuben als Gemeinschaftsstätte für das Leben des Volksliedes hingewiesen. Das Schwinden des Liedgutschatzes wird darum vielfach auf den Verfall der Spinnstuben zurückgeführt. Davon berichtet vor allem Freiherr von Dietfurt, der 1855 eine zweibändige Sammlung "Fränkische Volkslieder“ herausgab, in der Einleitung zu seinem Werk. Er sagt: "Fränkisches Volkslied ist fast immer ein Gruppengesang, Burschen und Mädchen, bei gemeinsamen Arbeiten, Festen, Gängen, besonders in den Spinnstuben“. Ihnen schreibt Dietfurt eine besondere Geltung und Wirksamkeit für das Gedeihen des Volksgesanges zu und beklagt ihr späteres Verschwinden.

Der Inhalt der in den Spinnstuben gepflegten Volkslieder war so verschiedenartig wie das Leben selbst. Es gibt kaum eine Situation, kaum eine seelische Regung, die nicht in einem dieser Lieder vor- oder ausgesprochen ist. Die Spannweite der Töne und Motive, das heißt die Spannweite der Seele, das ist es, was das fränkische Volkslied auszeichnet. Doch umschloß das Singen in der Spinnstube neben dem besonders gern geübten Liedgut aber auch das religiöse Lied, wobei zuweilen Altüberliefertes, ebenso Balladen, das Soldatenlied und ausgesprochene Spinnstubenlieder ihre Pflege fanden. Viele Spinnstubenangehörige, vorwiegend Mädchen, legten sich eigene Liederhefte an, die wichtige Quellen des Volksliedsingens im 19. Jahrhundert geworden sind, da sie vor allem auch einen Überblick geben über das in einer Spinnstubengemeinschaft zu einer bestimmten Zeit lebendige Liedgut, andererseits spiegeln sie auch den Wandel und Wechsel des Liedgutes in den einzelnen Jahrzehnten sehr gut wider.

Mit dem Verfall der Spinnstuben traten die Mädchen, die früher vor allem das Singen leiteten, in der dörflichen Liedpflege zurück und die Burschen immer mehr in den Vordergrund. Es waren dabei immer einzelne, die beim Singen führend waren, die Wort und Melodie besonders beherrschten und von deren Anwesenheit zumeist das Singen abhing. Sie gaben im wahrsten Sinne des Wortes den "Ton“ an. Die Dorfjugend, und hier eben die "Spinnstübler“, trafen sich den Sommer über manchmal auf dem Dorfanger. Es wurden Ereignisse besprochen, aber hauptsächlich sang man schöne Heimatlieder. Es gab Dorfbewohner, die regelmäßig die Fenster öffneten, wenn die Lieder erklangen. Natürlich riß auch einmal ein Grantiger das Fenster auf und schimpfte, wenn er wegen des Gesangs nicht einschlafen konnte, weil das Treiben auf dem Dorfplatz öfters bis nachts 11 Uhr oder noch länger dauerte, wenn die Nächte lau waren. Nachfolgend sind einige dieser Lieder, die in den Spinnstuben gesungen wurden, wiedergeben (nach Dunz "Unsere Vorfahren“). Manchem mag der Text melancholisch oder traurig erscheinen. Aus Platzgründen ist jeweils nur ein Vers aufgeführt.

"Nach meiner Heimat, da zieht`s mich wieder, Es ist die alte Heimat noch. Dieselbe Lust, dieselben frohen Lieder Und alles ist ganz anders doch....“

"Am Holderstrauch, am Holderstrauch, da muss geschieden sein. Kehr bald zurück, kehr bald zurück, Herzallerliebster mein...“

"In einem kühlen Grunde, da steht ein Mühlenrad, Mein Liebchen ist verschwunden, das dort gewohnet hat...."

"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bein. Ein Märchen aus uralten Zeiten, das geht mir nicht aus dem Sinn..."

"Im schönsten Wiesengrunde ist meiner Heimat Haus, da zog ich manche Stunde ins Tal hinaus....“

"Drei Lilien, drei Lilien die pflanz ich auf mein Grab, da kam ein stolzer Reiter und brach sie ab....“

"Rosenstock, Holderblüh, Wann ich mein Dirndl sieh, Lacht mir vor lauter Freud` `Herzerl im Leib...“ usw. usw.....

Dazu noch einige Rockenstuben- und Spinnstubenverse, die in den Jahren 1932 bis 1935 erlauscht und aufgeschrieben wurden:

"Auf die Heirat bin ich ganga, die Leiter naufgstiegn, die Spreißl sen zerbrochen, nei nein Dreck hat`s mich ghiem."

"Die Lerchen ham Kröpfla, die singa damit; mei Mutter hat en Kropf, aber singa tuts net“.

"Mei Schatz is schee schwarz, er sieht wie a Katz, er brummt wie a Bär, wenn er nur da bei mir wär“!

"Drei Dutzend alte Weiber, Gott verzeih mir die Sünd, zum Arbeitn sen sa langsam, zum Essen sen sa gschwind“.

"Drei Wochen vor Ostern, dou gieht der Schnee weg, dou heiert mei Schätzla und ich hoe en Dreeck“.

Die Spinnstubengeselligkeit hatte u. a. auch eine besondere Bedeutung für die Pflege der Überlieferung des Erzählgutes, der Volkssagen, der Volkserzählungen. Das Schwinden des Erzählgutschatzes wurde dann vielfach auf den Verfall der Spinnstuben zurückgeführt. Spinnstubengemeinschaft war auch seelische Gemeinschaft und Glaubensgemeinschaft. In ihnen allen lebt die gleiche innere Welt. Dies ist die Voraussetzung auch für das Leben der Volkssage. Mehr Geselligkeitscharakter trug der Schwank, der ja zu seinem Leben des Gemeinschaftsechos in besonderem Maße bedarf. Bei der Unterhaltung in der Spinnstube wurden zuerst Dorfneuigkeiten durchgesprochen und "beredet“, dann steuerten manche Mädchen Erzählungen, Sagen, Geschichten, die sie gelesen oder gegebenenfalls von der Schulzeit noch im Gedächtnis hatten, bei. Eine besondere Note erhielt dieses Erzählgut, wenn der Altbauer (Großvater) oder die Altbäuerin (Großmutter), die im Hintergrund der Spinnstube saßen und bisher zuhörten, am Gespräch teilnahmen. Ja, sie waren es meist, die mit ihren erzählenden Darbietungen (sie bevorzugten schaurige Geschichten von bösen Geistern, Hexen und feurigen Männchen) eine besondere, erregende Atmosphäre in der Spinnstube unter den Teilnehmerinnen erzeugten.

Die Zeit des Spinnstubengehens im Winterhalbjahr war auch landschaftlich und dörflich genau geregelt. Die gewöhnliche Dauer war von Kirchweih bis Ostern. In den zwölf Nächten herrschte völlige Arbeitsruhe.. In der Spinnstubenzeit fielen allerlei kleine Feste an, die in der stillen Winterzeit Akzente gaben. Nikolausfeier, Silvesterabend und vor allem die Fastnacht sind zu nennen, die vielfach von der Spinnstube her gestaltet wurden, oft verbunden mit Schmaus und Trank und manchem Gabenwesen. An Ostern gingen die Burschen Ostereier sammeln, die ebenfalls in der Spinnstube gemeinsam verzehrt wurden. Festlich wurde auch der Abschluß der Spinnstube im Frühjahr begangen. Lichtauslöschen, Lichtbegraben, Spinnstubenräuchern hießen unter anderem einige Bezeichnungen dieser sogenannten Abschlußfeste. Die Formen der Bewirtung, die die Spinnstubenarbeit abschloss, waren sehr mannigfaltig in den einzelnen Gebieten.

Die Spinnstubengemeinschaft zerfiel aber nicht mit dem Abschluß dieser winterlichen Zusammenkünfte, sie blieb den Sommer über wirksam, bei Tanz und anderen öffentlichen Zusammenkünften, sie wurde zur Lebensgemeinschaft, nahm Anteil an allen Ereignissen der Angehörigen, bei Hochzeit und Tod.

Heute gibt es keine solchen Spinnstuben mehr. Die Spinnräder und Rocken, die Hecheln und Haspeln sind selber eingesponnen von Staub und Spinnweben auf den Dachböden der Bauernhäuser. Einen Webstuhl findet man im ganzen Dorf nicht mehr.. Heute schnurrt in den Bauernhäusern kein Spinnrad mehr. Dafür hat man jetzt in jedem Haus Radio und Fernseher, diese schnurren und surren fast den ganzen Tag, dass man oft sein eigenes Wort nicht versteht!

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